Dear Future Children (2021)

Proteste für eine bessere Zukunft

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Die Zeiten, in denen über die unpolitische, angepasste Jugend geklagt wurde, sind vorbei. Seit die Fridays-for-Future-Bewegung eine ganze Generation von Schüler*innen und jungen Erwachsenen erfasst hat, zeigt sich ihre verändernde Kraft. Sie hat einen allgemeinen Wertewandel in Gang gesetzt und treibt sogar die Politik vor sich her. In einigen Ländern gehen junge Menschen auch für  den Schutz der Demokratie oder soziale Reformen auf die Straße. Sie nehmen zum Teil erhebliche persönliche Risiken in Kauf. Der Dokumentarfilm von Franz Böhm stellt drei Aktivistinnen vor, die   sich in Chile, Uganda und Hongkong mit unterschiedlichen Zielsetzungen für eine bessere Zukunft engagieren.

Die 23-jährige Studentin Rayen ist Teil der chilenischen Protestbewegung, die in der Hauptstadt Santiago lautstark und beharrlich für eine sozial gerechtere Gesellschaft demonstriert. Die Kluft zwischen Arm und Reich sei enorm, schildert Rayen und beklagt die Privatisierung des Bildungs- und Gesundheitswesens und sogar des Wassers. Die Renten reichten nicht zum Leben und die Arbeiterschaft könne die Lebenshaltungskosten kaum noch stemmen. Die Polizei geht mit Gewalt gegen die Protestierenden vor, setzt Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse ein. Rayen besucht die Eltern eines jungen Mannes, der auf der Straße ums Leben kam. Und sie spricht mit einer jungen Fotografin, die wie hunderte anderer Demonstrant*innen offenbar gezielt am Auge verletzt wurde.

Die 25-jährige Pepper gehört lange Zeit zur vordersten Front der Protestbewegung in Hongkong, die gegen die von China betriebene Aushöhlung der demokratischen Rechte kämpft. Ihren echten Namen sagt die Aktivistin nicht und ihr Gesicht verbirgt sie hinter einer Mundschutzmaske. Nicht einmal ihre Freunde und Angehörigen wüssten von ihrem Doppelleben, sie müsse peinlich darauf achten, ihre Identität verborgen zu halten, erzählt sie. Oft trägt sie bei Protestaktionen Gasmaske, Schutzbrille und Helm. Sie schildert ihre Angst vor polizeilicher Gewalt und Inhaftierung, aber auch die Entschlossenheit, nicht aufzugeben. Doch nachdem China das neue Sicherheitsgesetz erlässt, das jeglichen Widerstand für illegal erklärt, empfindet sich Pepper als gescheitert. Viele ihrer Mitstreiter*innen sind in Haft oder mussten das Land verlassen.

Die junge Studentin Hilda Flavia Nakabuye hat den ugandischen Zweig von Fridays for Future gegründet. Sie erlebte schon als Kind die fatalen Folgen des Klimawandels in Uganda, als ihre Eltern ihre Landwirtschaft verloren, weil Dürre und Überflutungen den Boden zerstörten. Sie setzt sich auch aktiv gegen die Vermüllung der Landschaft und der Flüsse ein. Sie fischt mit Mitstreiter*innen Plastikflaschen aus dem Wasser und sucht das Gespräch mit Bürger*innen, um sie zu einem achtsameren Verhalten zu bewegen. Hilda erhält eine Einladung zur Klimakonferenz in Kopenhagen.

Der 1999 geborene Regisseur Böhm gehört zur gleichen Generation wie die drei Aktivistinnen, die er in seinem Langfilmdebüt porträtiert. Was diese Frauen auszeichnet und motiviert, ist ihr ausgeprägter Gemeinschaftssinn und der Wunsch, eine lebenswerte Zukunft mitzugestalten. Böhm setzt ihrem Mut und ihrem hohen Einsatz, auch stellvertretend für die Gruppierungen, die sie vertreten, ein Denkmal. Indem er mehrere Bewegungen vorstellt, wählt er einen ähnlichen Ansatz wie jüngst Now von Jim Rakete, der außer Fridays for Future auch weitere Umweltinitiativen in den Blick nahm. Weil sich Böhm nicht nur auf das Thema Umweltschutz beschränkt, knüpft der Film auch zum Teil an Everyday Rebellion von Arash und Arman Riahi aus dem Jahr 2013 an. Dort ging es um die Vielfalt gewaltfreier Formen des politischen Protests, wie der Occupy-Wallstreet-Bewegung oder den Aktionen von Femen.

Bei Böhm allerdings rückt viel Gewalt ins Bild, wenn die Demonstrant*innen und die Polizei auf den Straßen von Santiago de Chile und Hongkong zusammenstoßen. Der Übergang zwischen friedlichem Protest und Unruhen ist fließend, erscheint oft sogar unvermeidlich, weil sich die Demonstrierenden das Recht, sich öffentlich zu versammeln, nicht nehmen lassen wollen. Beim Wechsel zwischen den Schauplätzen suggeriert der Schnitt manchmal eine Verbindung und einen Dialog. So folgt auf Peppers Schilderung der Niederlage in Hongkong eine Massenszene in Santiago, in der die Demonstrierenden über die Kugeln, die zum Schützen zurückkehren, singen. Das klingt dann auch wie ein Trost für die Aktivist*innen in Hongkong. Was den Film so interessant macht, ist, dass er auch den Ängsten und Zweifeln der Porträtierten Raum gibt. So zeigt er, dass politisches Engagement auch bedeuten kann, einen hohen persönlichen Preis zu zahlen und sich mit Rückschlägen und inneren Widerständen herumzuschlagen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/dear-future-children-2021