Triangle of Sadness (2022)

No Love Boat

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der schwedische Filmemacher Ruben Östlund scheint eine besondere Vorliebe dafür zu haben, sich mit dem menschlichen Mit- und Gegeneinander zu befassen und uns dabei zu durchaus unschönen (Selbst-)Erkenntnissen zu bringen. In „Höhere Gewalt“ (2014) widmete er sich etwa einer Familie, deren Rollenverständnis durch einen Vorfall im Skiurlaub einen heftigen Riss erleidet; in „The Square“ (2017) warf er einen Blick auf den vermeintlich kultivierten Kunstbetrieb und auf die Kluft zwischen Arm und Reich.

Seine Werke haben stets einen satirischen Tonfall und zeichnen sich durch eine ziemlich einzigartige Mischung aus knalliger Direktheit und intelligenter Erzählweise aus. Bemerkenswert ist, dass seine Arbeiten von Mal zu Mal noch experimentierfreudiger und entfesselter werden. Während Höhere Gewalt noch einen vergleichsweise klar konturierten Konflikt hat, zu dem wir als Publikum eine recht eindeutige Position einnehmen können, ist The Square schon entschieden überbordender und irritierender. Dies treibt Östlund in Triangle of Sadness nun nochmals weiter auf die Spitze. Wie in den Vorgängerwerken erinnern viele Szenen an Versuchsanordnungen und würden auch problemlos als Kurzfilme funktionieren; die Zahl der Teilnehmer:innen wird dabei indes beträchtlich erhöht.

Zunächst konzentriert sich das Geschehen auf das Model Carl (Harris Dickinson) und die Influencerin Yaya (Charlbi Dean Kriek). Die beiden bilden nach außen hin das perfekte Bilderbuch- beziehungsweise Instagram-Paar, geraten jedoch bei einem Restaurantbesuch in einen Streit, der mit der Frage beginnt, wer denn die Rechnung übernehmen sollte, und sich bald um große Themen wie Geschlechterstereotype dreht. In einem schlechteren Film würde es hier einfach nur darum gehen, die Verlogenheit der Fashion- und Konsumwelt, in der Carl und Yaya sich bewegen, vorzuführen. Und tatsächlich wählt Östlund teilweise ganz unsubtile Mittel, um diesen Kosmos zu zeichnen: Massenabfertigung beim Laufsteg-Casting, hohle Phrasen in den Modenschauen, die sich bei näherem Hinsehen sofort selbst widerlegen („Everyone’s equal!“) – und zwei Figuren im Mittelpunkt, die etliche Klischees in sich vereinen.

Aber schon in diesem ersten von drei Kapiteln von Triangle of Sadness zeigt sich, dass Östlund es uns wirklich nicht allzu leicht machen will. Ist Carl in seiner Herangehensweise und in seinen Äußerungen gegenüber Yaya („Ich will, dass wir gleich sind!“) nur bedingt reflektiert? Ganz gewiss. Ist Yaya in ihrer Attitüde oberflächlich und in ihrem Verhalten manipulativ? Ja, schon. Und doch hört die Zeichnung der Figuren damit nicht auf. Nach einer Reihe von Peinlichkeiten, inklusive einer kleinen Eskalation der Diskussion im Fahrstuhl, sitzen Carl und Yaya einander im gemeinsamen Hotelzimmer gegenüber und reden erstaunlich offen und selbstkritisch über sich und ihre Beziehung. Oder ist auch diese angebliche Reflexion wieder nur gespielt und behauptet, eine weitere Pose? Darauf müssen wir dann selbst eine Antwort finden.

Im Mittelteil des Films treten drastische Überspitzung und Zwischentöne noch geballter aufeinander und zelebrieren eine laute Kollision. Wir begeben uns mit Carl und Yaya auf eine Luxuskreuzfahrt, wo das Paar etwa auf einen immerfort betrunkenen, vom Marxismus angetanen Captain (Woody Harrelson), einen russischen Oligarchen (Zlatko Buric) samt weiblicher Begleitung (Sunnyi Melles und Carolina Gynning) und einen skandinavischen IT-Milliardär (Henrik Dorsin) trifft.

Auch hier könnte in der Ausführung vieles gründlich misslingen. Etwa die Darstellung einer Frau, die nach einem Schlaganfall nur noch über die Worte „In den Wolken“ mit anderen zu kommunizieren vermag. Iris Berben macht aus dieser Figur allerdings keinen billigen Witz, sondern demonstriert vielmehr, wie überfordert vor allem das Umfeld auf einen Menschen reagiert, der nicht mehr im klassischen Sinne „funktioniert“, dem wir also nicht mit üblichem Smalltalk begegnen können. Östlund und sein Ensemble begeben sich bewusst ins Unangenehme, um die Fallen in der menschlichen Koexistenz zu betrachten. Wie gehen die Gäste mit dem Personal um? Was treibt die Leute an, die hier arbeiten? Und worüber lässt sich beim Frühstück, beim Mittag- und Abendessen mit den Mitreisenden parlieren?

Beinahe jede Sequenz bringt Kalauer und geistreichen Humor so untrennbar zusammen, wie es nur selten im Kino zu erleben ist. Die Dekadenz derer, die entweder reich, schön oder beides sind, lässt an Werke wie Das große Fressen (1973) oder Fellinis Schiff der Träume (1983) denken. Der Film entwickelt eine immer größere Freude an der Derbheit – und dies wäre nicht halb so stimmig, wenn Östlund nicht absolut furchtlose, uneitle Kollaborateur:innen wie Zlatko Burić oder Sunnyi Melles gefunden hätte. Insbesondere Letztere ist einfach nur großartig – etwa wenn die von ihr verkörperte Vera die Service-Mitarbeiterin Alicia (Alicia Eriksson) dazu nötigt, in den Whirlpool zu steigen („Ich befehle Ihnen, den Augenblick zu genießen!“) oder wenn Vera beim völlig außer Kontrolle geratenden Kapitänsdinner selbst dann noch Champagner fordert, wenn sie die ungünstige Kombination aus heftigem Sturm und möglicherweise verdorbenen Gourmetspeisen schon längst dazu gebracht hat, sich ausgiebig zu übergeben.

Als Katastrophenfilm zum Ende des Mittelteils schöpft Triangle of Sadness lustvoll aus dem Vollen. Der vulgäre Überfluss wird ausgekotzt und – pardon – ausgeschissen; alsbald fliegt alles in die Luft und kein geräucherter Oktopus, keine Ingwer-Bonbons, kein Alkohol und kein geheuchelter Trinkspruch kann diese Leute davor bewahren, bald entweder tot oder auf einer vermeintlich einsamen Insel gestrandet zu sein.

Im dritten und letzten Kapitel wandelt sich der Film zu einem Mix aus Herr der Fliegen und Lost. Die Machtverhältnisse kippen, da nur Abigail (Dolly De Leon), die Toilettenmanagerin auf der nun zerstörten Yacht, weiß, wie man Fische fängt und Feuer macht. Abermals geht Triangle of Sadness nicht den naheliegenden Pfad. Es wäre leicht, sich über die Reichen und Nutzlosen lustig zu machen und uns Abigail als tapfere Heldin und Identifikationsfigur zu liefern. Wie toll es ist, dass sie hier ein Matriarchat errichtet habe, versucht sich Yaya bei der plötzlich mächtigen Abigail einzuschmeicheln. Aber auch das ist wieder nur eine inhaltslose, zu kurz gedachte Behauptung, wie die banalen Sprüche auf der Fashion-Show über Liebe und Gleichheit – ein Weg zu angeblichem Empowerment, den ein Arthouse-Publikum sicher gerne mitgegangen wäre, um sich halbwegs wohl zu fühlen. Hier ist und bleibt alles ambivalent, flach und tief zugleich. Die Hängematte, die Östlund zwischen schnellen Pointen und lange nachwirkenden Fiesheiten für uns spannt, ist unbequem – und kann doch ein seltsamer Genuss sein.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/triangle-of-sadness-2022