The Midnight Sky (2020)

Loslassen

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Nach einer globalen Katastrophe wird die Erde unbewohnbar. Nur in der Arktis harrt ein Wissenschaftler aus, um die Besatzung einer Mission zur Erkundung bewohnbarer Planeten vor ihrer Rückkehr zu warnen. Basierend auf dem Roman "Good Morning, Midnight" von Lily Brooks-Dalton inszeniert George Clooney "The Midnight Sky" und spielt darin selbst die Hauptrolle des sterbenden Wissenschaftlers auf einem sterbenden Planeten, der um die Chance für den Neuanfang der Menschheit kämpft. Die großen Themen des Films umspannen das Überleben im Angesicht der Katastrophe, den Kampf gegen die unendlichen Kräfte von Natur und Universum und das persönliche Verzweifeln an Verlust und Erinnerung. Dem Film gelingt es kaum, diese Spannungen zu tragen – aber gerade das macht ihn interessant.

Augustine Lofthouse (George Clooney), ein angesehener Astronom, bleibt allein zurück in einer arktischen Forschungsstation. Der Rest der Menschheit wurde „evakuiert“, obwohl nie deutlich wird, wohin oder wovor die Menschen fliehen müssen. Klar ist nur, dass eine tödliche Strahlung sich auf der Erde ausbreitet (ein Atomkrieg?) und das Leben auf dem Planeten auslöscht. Augustine stirbt jedoch bereits: Er hat Krebs und will seine letzten Tage in der Forschungsstation verbringen, bevor die Strahlung auch ihn dort erreicht. Dabei entdeckt er das Signal der zurückkehrenden Mission Aether, die einen Jupitermond erkundet und für lebensfähig befunden hat. Ohne Kommunikation zur Erde weiß die Besatzung (Felicity Jones, David Oyelowo, Kyle Chandler u.a.) aber noch nicht, was sie auf ihrem Heimatplaneten erwartet – und Augustines Kommunikationstechnik reicht nicht aus, um sie rechtzeitig zu erreichen. So muss er durch die lebensfeindlichen Bedingungen der Arktis zu einer Wetterstation einige Kilometer nördlich reisen, um von dort die Aether zu kontaktieren. Diese wiederum wird von Asteroiden stark beschädigt und kämpft ihrerseits um die Kommunikationsanlage.

The Midnight Sky kann kein Mangel an Ambition vorgeworfen werden. Es ist kaum möglich, in den Bildern des Films nicht immer wieder zwei große Vorbilder auftauchen zu sehen: Clooneys Erfahrungen von Gravity (2013) schlagen sich deutlich in den Kompositionen des unvermeidlichen Space Walk nieder, den die Crew der Aether absolvieren muss, um ihr Schiff zu reparieren, und auch die Drehbuch-Arbeit von Mark L. Smith, der zuvor an The Revenant (2015) gearbeitet hat, macht sich im Überlebenskampf des tödlich kranken Augustine in der arktischen Wildnis bemerkbar. Es würde The Midnight Sky allerdings nicht gerecht, darin lediglich die Annäherung an zwei große kritische Lieblinge der letzten Jahre zu sehen, so deutlich die Inspiration stellenweise hervortreten mag.

Das Interessante an Clooneys Film liegt gerade in der Verbindung beider Welten: Augustine entdeckt in seiner Forschungsstation ein kleines Mädchen (Caoilinn Springall), das offenbar alleine zurückgeblieben ist und nicht spricht. Er muss sich fortan um sie kümmern, so aussichtslos sein Überlebenskampf auch scheinen mag. Das Mädchen wird dabei zu einer eigenartigen Reflexionsfläche für die immer wieder in Erinnerungen eintauchenden Gedanken Augustines an den unwiederbringlichen Verlust seiner großen Liebe (Sophie Rundle), die er zugunsten seiner Arbeit als Physiker aufgegeben hat. Gleichzeitig entdecken auf der Aether die Wissenschaftlerin Sully (Felicity Jones) und Commander Adewole (David Oyewolo), die sich über die Jahre der Mission nähergekommen sind, dass sie gemeinsam ein Kind erwarten.

Zunächst mag das wie eine etwas banale Parallele von zwei Konstellationen erscheinen, die Neuanfang und Verlust einander gegenüberstellen. Doch The Midnight Sky gelingt es, dieser Verknüpfung immer wieder vor allem in seiner Montage unerwartete und interessante Wendungen abzugewinnen (auch Stephen Mirrione ist als Editor bereits an Filmen wie Birdman (2014) oder The Revenant beteiligt gewesen). Die Innenwelt des Protagonisten, der sich seinem eigenen Sterben gegenübersieht, wird zur Außenwelt eines sterbenden Planeten. Das allein ist wenig innovativ. Doch inmitten der eisigen Kälte ist da immer noch dieses Mädchen und entgegen der grummelig-zerzausten Performance von George Clooney dringt so eine andere Perspektive in den Film, die auf eigenartige Weise – und leider später etwas einfach-narrativ aufgelöst – den Bezug zur Aether herstellt und zum Loslassen des Vergangenen und Verlorenen zugunsten der Erkundung des Neuen.

The Midnight Sky ist ein seltsamer Film, der nie ganz zu sich findet. Zu deutlich drängen die bekannten Bilder anderer Filme in seine beiden Szenarien, und zu unklar ist über weite Strecken die Richtung, in der die Selbstbespiegelung des hartgesottenen Überlebenskämpfers sich auf interessantere Fragen hin öffnet, die das Überleben der Menschheit nach dem Zusammenbruch des Planeten und den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft betreffen. Doch gerade in der eigenartigen Qualität dieser Bilder, die immer eine Spur zu glatt und gekünstelt sind, immer ein wenig zu weich beleuchtet, entstehen momenthaft und unerwartet interessante Kombinationen und Eindrücke. The Midnight Sky scheitert wohl letztlich an seinen Ansprüchen, aber der Film tut dies auf eine seltsam faszinierende Weise. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-midnight-sky-2020