Was wir wollten (2020)

(K)ein Kind zum richtigen Zeitpunkt

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (Elyas M‘Barek) sind ein Paar mit gemeinsamer Lebensplanung. In Wien wird am Familienhaus für die Zukunft mit Kind gebaut. Die Zeit ist längst reif für Nachwuchs, beide sind berufstätig, man hat sich im Laufe einiger Jahre gut genug kennengelernt. Außerdem wird Alice schon 40. Aber auch der vierte Versuch einer künstlichen Befruchtung schlägt fehl. Die Ärztin (Maria Hofstätter) rät dem Paar, seinen Lebensentwurf zu überdenken und erst einmal in Urlaub zu fahren.

Alice und Niklas reisen nach Sardinien und beziehen eine Bungalowhälfte am Meer. Auf der Terrasse des Bungalows mit Blick auf den Strand wird das Paar Zeuge des bunten Familienlebens des Tiroler Paars von nebenan, das mit zwei Kindern angereist ist. Die kleine Tochter Denise (Iva Höpperger) sucht Alices Nähe und nennt sie eine „traurige Frau“. Gerade als Niklas an der Rezeption um ein anderes Haus bittet, begegnet ihm dort der kontaktfreudige Bungalow-Nachbar Romed (Lukas Spisser). Niklas verzichtet auf Umquartierung und sagt Alice, es sei kein anderes Zimmer frei gewesen.

Es knirscht also im Gebälk dieser Zweierbeziehung, die so dringend Urlaub braucht und trotzdem vor dem eigenen Leid nicht fliehen kann. Das auf der Erzählung Der Lauf der Dinge von Peter Stamm basierende Drama über den unerfüllten Kinderwunsch eines Paares besitzt Aktualität und allgemeine Relevanz. Außerdem besticht das Spielfilmdebüt der Regisseurin Ulrike Kofler mit seiner unaufgeregten Realitätsnähe. Österreichs Einreichung für den Oscar 2021 startet wegen coronabedingter Kinoschließungen nun in Deutschland gleich auf Netflix. In Österreich hofft man noch auf einen Kinostart in diesem Jahr.

Der Riss, der durch die Beziehung von Alice und Niklas geht, wird von beiden fleißig überspielt. Niklas ist zärtlich zu Alice, voller Verständnis für ihre Seelenpein, während ihn der versagte Kinderwunsch offenbar weniger tangiert. Schon allein seine gutmütige, zurückhaltende Art signalisiert Zuneigung, aber es fällt auf, dass sich die Blicke des Paares selten begegnen. Sie stellt nun den Hausbau infrage und damit die gemeinsame Zukunft, er hat unter dem Druck des Kindermachens die Lust am Sex mit ihr verloren. Wie es um das Paar steht, bleibt wie so vieles andere auf etwas merkwürdige Art in der Schwebe, wunde Punkte werden angedeutet, offengelassen oder erst später wieder aufgegriffen. Als Drama der leisen Töne wirkt der Film aber zugleich auch wohltuend geerdet.

Lavinia Wilson spielt Alice ungeheuer feinnervig. Dass sie am Rande physischer und psychischer Erschöpfung steht, signalisiert ihr angespannter Gesichtsausdruck, aus dem zugleich tiefe Traurigkeit spricht. Alice tobt nicht, schreit nicht, fährt nur selten aus der Haut. Aber sie wirkt besessen vom Wunsch nach einem Kind, das ihre Haare, Niklas‘ Augen hat, wie sie einmal sagt. Am Anfang des Films erzählt sie von ihrem Traum, in dem dieses Kind vorkommt, später nimmt es für einen Moment offenbar sogar Gestalt an.

Warum Alice so an der Vorstellung des gemeinsamen Kindes klammert, bleibt lange unerklärt, bis zu einem Abendessen mit den Tiroler Nachbarn, bei dem die Enthüllungen purzeln. Dort entwickelt sich für kurze Zeit ein spannendes Ensemblespiel, das auch den Teenager Daniel (Fedor Teyml) einbezieht. Alice und Niklas könnten an seiner Person merken, dass das Familienleben von Romed und Christl (Anna Unterberger) nicht ganz so harmonisch ist, wie sie dachten. Daniel nimmt am Leben seiner Familie genauso wenig teil wie der Jugendliche in Little Miss Sunshine und wirkt in seinem Unglück ebenfalls düster. Die Art, wie Daniels Drama nahezu unbemerkt anschwillt, steigert den authentischen Eindruck der Inszenierung.

Alice hat einiges gemeinsam mit der Protagonistin aus Dinky Sinky, die sich allerdings bis zur Verhaltensauffälligkeit in ihren unerfüllten Kinderwunsch verrannte. Hier geht es weniger tragikomisch zu, der ernste Tonfall aber kann sich nicht richtig dramatisch vertiefen. Leider schwächelt die Geschichte gerade auf der emotionalen Beziehungsebene. Alles können Gesten und Mimik der Schauspieler nicht wettmachen, was dem Skript an Intensität fehlt. Elyas M‘Barek, der nach Der Fall Collini erneut dem Komödienfach entflieht, kann hier zudem kaum anders, als den soften, sympathischen Kerl zu geben. Niklas‘ inneres Drama bewegt sich allzu sehr unter dem Radar, wird nur beim Thema Sex thematisiert.

Beim Abendessen mit den Bungalow-Nachbarn entwickelt sich ein konfliktgeladenes Gespräch über Schicksal und Familienplanung. Ungewollt kann beides sein, Kinderlosigkeit ebenso wie Kindersegen. Weder lässt sich die Biologie immer perfekt kontrollieren, noch gelingt Elternschaft automatisch, sobald Kinder da sind. Wer freie Entscheidungen trifft, muss sich auch mit der Schuld herumschlagen, Fehler zu machen und den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Verkopft wirkt der Film trotz solch philosophischer Anklänge nicht, davor bewahrt ihn die sanfte Inszenierung, die wahrnimmt, wie die wilden Tauben rufen, die Zikaden ihr Hitzekonzert veranstalten. Nur hätte bei aller Authentizität dem Beziehungsdrama etwas mehr emotionales Gewicht gutgetan.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/was-wir-wollten-2020