I'm Your Woman (2020)

Eine Frau geht ihren Weg

Eine Filmkritik von Falk Straub

Rachel Brosnahan hat es geschafft. Mit gerade einmal 30 Jahren hat sie bereits zwei Golden Globes und einen Primetime Emmy Award im Regal stehen. Allesamt für ihre Hauptrolle in Amy Sherman-Palladinos Fernsehserie The Marvelous Mrs. Maisel.  Brosnahans Figur, eine Hausfrau, die Ende der 1950er Jahre in New York vom Herd auf die Comedy-Bühne wechselt, ist ein Ereignis. Selbst wer von TV-Unterhaltung und Streaming-Anbietern wenig hält, sollte sich zumindest diese eine Serie anschauen. Dass die 1990 in Milwaukee, Wisconsin geborene Schauspielerin auch ganz anders kann, zeigt sie in ihrem jüngsten Filmauftritt.

Unter Julia Harts Regie spielt Brosnahan abermals eine Hausfrau, dieses Mal in den 1970ern. Doch diese Jean ist ganz anders als Brosnahans bislang berühmteste Rolle. Wo Miriam "Midge" Maisel alles um sich herum durcheinanderwirbelt, liegt Jean lethargisch im Gartenstuhl. Die unterkühlte Blondine kann weder kochen noch Kinder bekommen und sieht in ihrem Dasein wenig Sinn. Das ändert sich schlagartig, als ihr Ehemann Eddie (Bill Heck) erst ein Baby nach Hause bringt und dann nicht mehr nach Hause kommt.

Eddies Verschwinden ist die Triebfeder, die die Handlung in Schwung bringt und bis zum Schluss vorantreibt. Dass Eddie Dreck am Stecken hat, ist von vornherein klar. Womit er sich die Hände schmutzig macht, klärt sich erst ganz gemächlich auf. Denn Julia Hart (Miss Stevens, Fast Color) zieht ihren vierten Spielfilm als Regisseurin anders auf als im Krimigenre üblich. (Zwischendurch und ganz am Ende könnte diese Geschichte auch ein Western sein, wie Hart mit ihrem Drehbuch zu The Keeping Room – Bis zur letzten Kugel schon einen geschrieben hat.)

Auf dem Papier liest sich I'm Your Woman wie ein klassischer Thriller, wie eine Hommage an das Kino der 1970er Jahre. Ein Verbrechen geht schief, eine Frau ist auf der Flucht. Doch schon hier schlagen Hart sowie ihr Co-Autor (und Ehemann) Jordan Horowitz, der unter anderem den Beinahe-Oscargewinner La La Land (2016) produziert hat, einen anderen Weg ein. Ihr Drehbuch blendet das Verbrechen komplett aus. Stattdessen überrumpelt es die Hauptfigur und mit ihr das Publikum. Mitten in der Nacht hämmert es an der Tür. Wenige Augenblicke später sitzt Jean bei Cal (Arinze Kene) im Wagen, eine Tasche voller Geld und ihr Baby unterm Arm. Von hier an bleibt sie immer in Bewegung.

Auch später, wenn Jean und Cal von Ort zu Ort ziehen und Jean bald mit ihrem Beschützer, bald allein mit ihrem Baby kurze Verschnaufpausen einlegt, setzt Hart auf eine ungewöhnliche, weil ungewohnte Dramaturgie. Die aus dem Genre vertrauten Spannungsmomente und Gewaltausbrüche löst sie anders auf. Gemeinsam mit Jean nimmt das Publikum vieles davon nur indirekt als eine Art Mauerschau wahr. Und während jeder andere Kriminalfilm (von Ausnahmen wie Stanley Kubricks Die Rechnung ging nicht auf und Quentin Tarantinos Reservoir Dogs einmal abgesehen) mit dem schiefgelaufenen Verbrechen losgelegt hätte, um sich über ein paar Scharmützel auf den Showdown zuzubewegen, nimmt Hart zwei Stunden lang Anlauf, um in einer Antiklimax zu enden. All das setzt sie stets stilvoll und mit viel Zeitkolorit in Szene.

Dass Rachel Brosnahan nicht nur extrovertierte Figuren wie "Midge" Maisel beherrscht, ist nichts Neues. Einem breiteren Publikum dürfte sie hierzulande erstmals in der Netflix-Serie House of Cards (2013-2018) aufgefallen sein. Darin spielte sie die Sexarbeiterin Rachel Posner, die durch Einschüchterung und Kontrolle zunehmend verängstigter, passiver und schließlich zum Mordopfer wird. In I'm Your Woman fügt Brosnahan ihrem Repertoire an beeindruckenden Figuren eine weitere Facette hinzu. Jean geht den umgekehrten Weg wie Rachel Posner. Anfangs antriebslos, verängstigt und ein Opfer ihrer eigenen Unselbstständigkeit lässt sie sich von den Gefahren um sie herum nicht einschüchtern. Das Publikum sieht ihr dabei zu, wie sie an ihren schier übermenschlichen und unmenschlichen Aufgaben wächst, sieht, wie aus dieser unscheinbaren Hausfrau eine toughe Powerfrau wird, ohne dabei ihre Menschlichkeit zu verlieren. Besser als Brosnahan können das derzeit nur wenige spielen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/im-your-woman-2020