Toni Erdmann (2016)

Toni Erdmann und Whitney Schnuck for President

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Machen wir es kurz: Maren Ades Toni Erdmann ist ein Meisterwerk, nicht nur der deutschen, sondern der internationalen Filmkunst. Und das würde man auf den ersten Blick vielleicht nicht vermuten. Aber dieser Film ist so viel mehr als die Summe seiner einzelnen Teile. Ein Trailer, eine Kurzzusammenfassung oder ähnliche schnelle, oberflächliche Blicke können nicht vermitteln, was für ein Diamant dieser Film ist. Nicht ohne Grund ist er fast drei Stunden lang. Toni Erdmann braucht Zeit. Und zum Glück nimmt er sich diese auch.

Ein Vater (Peter Simonischek), eine Tochter (phänomenal: Sandra Hüller) und ein Gebiss mit unechten, schiefen Zähnen ist alles, was der Film braucht. Das Gebiss steckt in Winfrieds Brusttasche. Er braucht es, denn seine Tochter Ines ist in der Stadt. Lange ist es her, dass er sie gesehen hat. Sie wohnt und arbeitet in Bukarest. Als Consultant. Consultant, das ist ein nett klingender Anglizismus für, ja, für was eigentlich? Winfried weiß es nicht. Egal. Hauptsache, Ines ist mal wieder da. Sie ist immer so ernst und ständig am Telefon. Die Haare sind perfekt gescheitelt und streng am Hinterkopf hochgesteckt. Der Hosenanzug war teuer und sitzt perfekt. Winfried hingegen trägt ein ausgeleiertes Shirt und irgendeine Hose. Aber er hat ja noch das Gebiss. Damit wird er sie aufmuntern, denn seinen Humor, den sollte man niemals verlieren. Aber Ines lacht nicht, sondern ist irritiert. Und fährt bald wieder ab. Er kann sie ja mal besuchen kommen. Irgendwann. Das sagt sie noch, bevor sie ihn mit Maximalabstand umarmt und sich wieder dem Telefon widmet.

Bukarest. Ines geht zur Arbeit. Schon im Foyer kümmert sie sich um den Kunden. Der Kunde will gesagt bekommen, was er denken und machen soll. Das ist die Consultant-Philosophie. Und Ines ist gut darin, anderen zu sagen, was sie denken und machen sollen. Doch im Vorbeigehen sieht sie im Augenwinkel etwas Bekanntes. Die falschen Zähne. In Panik versucht sie, sich und die Klienten in den Aufzug zu retten. Der Vater ist einfach aufgetaucht. Unangekündigt. Nur ein paar Tage halten es die beiden miteinander aus. Ines nimmt Winfried mit zur Arbeit, denn Arbeit ist immer und überall. Bei einem Empfang, bei dem sie die Kunden bezirzen muss. Spät nachts in Bars und gleich wieder früh morgens im Business-Anzug bei einem Brunch. Dazwischen Meetings, ein bisschen Spa und so wenig Vater wie möglich. Immer wieder bringt er sie in die Bredouille. Kreiert peinliche Szenen vor Arbeitskollegen und Klienten mit seinen Witzen. Und den scheiß falschen Zähnen. Irgendwann schmeißt sie ihn dann freundlich raus. So kann sie nicht arbeiten.

Aber Winfried geht nicht. Er ist der Meinung, dass Ines todunglücklich ist. Sie hat ihren Humor verloren, und er muss ihr helfen, ihn wiederzufinden. Also bleibt er in Bukarest, kauft eine passende Perücke zu den falschen Zähnen und taucht überall auf, wo seine Tochter auch ist. Als Toni Erdmann. Der ist mal deutscher Botschafter und stellt Ines als seine Sekretärin Whitney Schnuck vor, oder er ist ein Coach. Noch so ein schönes englisches Wort, bei dem niemand weiß, was es eigentlich bedeutet. Ines ist sauer. Aber irgendwie auch nicht. Und irgendwann, als sie nicht weiß, was sie mit der Situation anfangen soll, macht sie irgendwie mit.

So viel zur Grundgeschichte, die allein für sich schon schräg klingt. Doch das ist nichts im Vergleich zum eigentlichen Filmerleben. Winfrieds/Tonis Sinn für Humor wird wohl von den wenigsten Menschen geteilt werden. Er ist grenzüberschreitend, kindisch, albern, ja, regelrecht dämlich und völlig absurd. So absurd, dass er einen entwaffnet. Was soll man auch schon sagen, zu solch einem Bekloppten? Aber er nervt auch, denn er funktioniert stetig als Zäsur. Für Ines und für einen selbst als Zuschauer. Er reißt aus dem Gewohnten, dem Normalen, der Idee, wie der Alltag abzulaufen, wie das Leben auszusehen hat, wie man sich als Erwachsener zu verhalten hat. Bei Ines ist der Job das Leben. Sie hat sich erfolgreich behauptet, in einer Welt aus weichen Fakten mit harten Auswirkungen auf das Leben anderer und mit misogynen Männern, gegen die sie sich abschirmen muss.

Und nun bringt Toni mit jedem blöden Klamauk Abstand ins Geschehen und damit auch eine andere Perspektive. Dadurch schleicht sich sehr behutsam und stets mit perfektem Timing das Erdmannsche Absurdistan in die angebliche Realität ein und dekonstruiert sie nach und nach komplett. Denn die Regeln, die Ines bei der Arbeit befolgen muss, die Meetings, die Benchmarks und Performances sind genauso dämlich und arbiträr. Deshalb kommt sie nicht umhin, irgendwann doch lachen zu müssen. Und ab da und bis zum Ende des Filmes, die ZuschauerInnen auch.

Ades Film vermag es meisterlich mit Emotionen und Timing zu spielen. Die Basis des Films ist so spröde wie eine dieser Reiswaffeln, die nach Styropor schmecken. Die Bilder sind ordentlich kadriert, ein bisschen blau-grau und von Handkamera gefilmt. Sie haben etwas grundsolides, man möchte fast sagen, deutsches. Die Charaktere auch. Die Sprache ist gehemmt, eher faktisch und ebenfalls eher spröde. Die Gesichter sind gefasst. Die Körpersprache ist entrückt. Anfassen ist nicht, ein Mindestabstand muss bleiben. Aber da ist mehr. Unter dieser Oberfläche ist Wärme, sind Gefühle und warmer, charmanter Witz. Die wahre Geschichte Toni Erdmanns findet subkutan statt. Und das gelingt nur, weil sich der Film Zeit lässt, nichts überstürzt und seine Figuren einander und an den Zuschauer ganz langsam annähern lässt. Der Sog, der dadurch entsteht, ist unausweichlich, geradezu magnetisch. Ehe man sich versieht, ist man verliebt in Ines und Toni und fiebert mit ihnen mit, fühlt sie in sich und ist so involviert, dass man mittendrin steckt in Ades Geschichte. Und sie führt sie durch Tiefen und Höhen mit einem Finale, das so phänomenal und so kathartisch ist, dass man in Jubel ausbricht.

Kein metaphorischer Jubel, echter Jubel.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/toni-erdmann-2016