The Dark and the Wicked (2020)

Es nähert sich

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Das Farmhaus ist umgeben von Drähten, an denen Flaschen und allerlei metallischer Krimskrams hängt. Das dient möglicherweise der Einhegung der Ziegen. Möglicherweise aber auch als klimperndes Alarmzeichen für den Fall, dass sich das Böse nähern sollte. The „Dark and the Wicked“ spielt fast ausschließlich auf dieser Farm irgendwo im Nirgendwo des ländlichen Texas, ist damit nahezu ein Kammerspiel – aber nicht einer dieser Horrorfilme, in denen die Protagonisten sinnlos ins dunkle Dachgeschoss rennen. Bei Regisseur Bryan Bertino herrschen Notwendigkeiten: die Geschwister Louise (Marin Ireland) und Michael (Michael Abbott Jr.) haben kaum eine andere Wahl, als hierzubleiben. Die Mutter hat sich eines Abends verstümmelt und im Stall erhängt, der Vater liegt komatös im Bett, in einem langen Sterbeprozess.

Die Mutter hatte lange schon eine unheimliche Präsenz geahnt, ihr Tagebuch gibt Aufschluss darüber. Die Kamera unterstützt die Düsternis, die mehr und mehr von Louise und Michael Besitz zu ergreifen versucht: Eine Woche umfasst die Spielhandlung, die sich atmosphärisch immer mehr in eine Dämonie steigert und dabei billige Tricks unterlässt. Vielmehr gehen Licht und Schatten, Filmbilder und -bewegungen, Musik und Geräusche einen Pakt ein, um die unterschwelligen Gefährlichkeiten und seelischen Zerrüttungen formal zu bestätigen – ohne dass sich Regisseur Bryan Bertino allein auf formale Gruseligkeiten stützen würde. Geistererscheinungen und Besessenheiten mehren sich, es tauchen nächtliche Schimären auf, und wenn es etwas Böses gibt, da draußen – es nähert sich, und immer wieder klingt und klongt es im Zaun …

Aber vielleicht, und das macht der Film sehr geschickt, ist die teuflische Annäherung gar keine; die Betrachtungsweise einer Psychose wird nie dementiert, von familiärem Wahnsinn, von einem Irresein, das dieser Ort bedingt, das von Mutter zu ihren Kindern weitergegeben wird. Das Knarren und Ächzen des Hauses – es ist aus Holz gebaut; das Klirren im Zaun; die aufgescheuchten Ziegen - da gibt es Halluzinationen und die Toten, die wieder erscheinen. Selbstmorde, scheinbar ohne Motivation – und der Vater im Bett, ohne Regung, bis er hustet und ihm eine Spinne entschlüpft.
 
Louise verzweifelt, doch sie bleibt. Schließlich ist es ihre Familie und sie war zu lange weg. Ihr Bruder zweifelt, doch auch er gerät in den Sog des Bösen – oder des Wahnsinns – oder von beidem ein bisschen.

Der Film bleibt stets überraschend, und wir folgen Louises Weg ins Dunkle und Bösartige – Bertino bespielt geschickt die Klaviatur von Beunruhigung bis Verstörung bis Schrecken. Dass das abgrundtiefe Grauen nicht ganz erreicht wird, liegt daran, dass der Film die Mythologie des Bösen nicht völlig ausschöpft: Das Teuflische – wenn wir von seiner tatsächlichen Manifestation in diesem Farmhaus ausgehen – hat nicht wirklich große Motivation für all die Schrecken, die es verbreitet; Seelen fürs teuflische Werk zu gewinnen, sollte doch einem Dämon auch effizienter von der Hand gehen …

Technisch wie darstellerisch aber liegt The Dark and the Wicked auf höchstem Niveau; natürlich muss zwischendurch eine Duschszene Psycho-mäßig mit einem Schockmoment enden, auch kann das Böse Körper erheben wie weiland im Exorzist – aber gerade dieses Wissen um das Spiel mit den Motiven und Formalien bewahrt den Film davon, in die Falle der Horrorklischees zu tapsen: Indem Bertino sie nutzt, aber nicht ausnutzt, indem er ihnen entspricht, sie aber nicht überbeansprucht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-dark-and-the-wicked-2020