Stage Mother (2020)

Mutti räumt den Laden auf

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der Wechsel in eine ungewohnte Umgebung zählt zu den beliebtesten Filmmotiven. Ungewohnter könnte es für die Titelheldin dieser Tragikomödie kaum werden. Die von Jacki Weaver gespielte Maybelline, eine erzkonservative texanische Hausfrau, erbt einen Travestieklub in San Francisco. Zum Glück versteht sie als Leiterin ihres Kirchenchors etwas von Diven, vom Showbusiness und ist nicht auf den Mund gefallen.

Die erste Begegnung mit der Welt ihres verstorbenen Sohnes Rickey (Eldon Thiele) endet abrupt. Als Rickeys Drag Sisters während seiner Beerdigung eine Performance hinlegen, verlässt Maybelline die Kirche. Sie hätte eine Begräbnisfeier erwartet und kein Singspiel, äußert sie gegenüber Rickeys bester Freundin Sienna (Lucy Liu). Wenig später bringt Maybelline den Drag Queens Cherry (Mya Taylor), Joan (Allister MacDonald) und Tequila (Oscar Moreno) das Singen bei. Bislang traten diese mit Full-Playback auf. Doch um mehr Publikum anzulocken und den Klub wieder auf gesunde Füße zu stellen, muss etwas Neues her.

Zu diesem Zeitpunkt steckt Maybelline bereits mitten drin, das Vermächtnis ihres Sohnes umzukrempeln. Mit Rickeys Lebensgefährten Nathan (Adrian Grenier) hat sie sich erst angelegt, dann arrangiert. Sienna (Lucy Liu), bei der sie auf der Couch übernachtet, hilft sie durch alle Lebenslagen. Und ihren Ehemann Jeb (Hugh Thompson), der zu Hause in Texas auf sie wartet, hält sie hin, während sie mit August (Anthony Skordi), dem Concierge eines noblen Hotels, anbandelt. Der Blick in diese Glitzerwelt erweitert  Maybellines Horizont. Stage Mother ist nicht nur eine Retter-, sondern auch eine Emanzipationsgeschichte.

Regisseur Thom Fitzgerald schwebte ein Mix aus klassischem Hollywood-Kino mit einem queeren Twist vor. Am Ende ist sein Film ein paar Prisen zu klassisch geraten. Denn Brad Hennigs Drehbuch halst der Hauptfigur zu viel auf. Maybelline muss alles richten. Mal hält sie Sienna einen gewalttätigen Liebhaber vom Leib, mal kriegt sie Joans Drogenproblem in den Griff und schließlich bringt sie Cherrys Verhältnis zu ihrer Ex-Frau in Ordnung. Maybellines Wandel von der engstirnigen Mutter eines schwulen Sohnes zur weltoffenen Bühnenmama vollzieht sich arg reibungslos. Und all diese kleinen Nebenstränge hängen ein wenig lose und dadurch unglaubwürdig in der Gesamthandlung.

Von seiner eigenen Familiengeschichte inspiriert, erzählt Fitzgerald ein zuckersüßes Märchen, das nicht alles richtig macht, das Herz aber am rechten Fleck hat. Dass mit Maybelline ausgerechnet eine konservative Heterosexuelle die turbulente Welt der Gender-Illusionist*innen geraderückt, ist eigentlich ärgerlich. Dank Jacki Weavers mitreißender Darbietung und der Schlagfertigkeit ihrer Figur, kann man Maybelline und dem Film aber nicht lange böse sein.

Gut ist zudem, dass sich der Regisseur in einem Punkt nicht am klassischen Hollywood orientiert hat. Anders als in den großen Travestiekomödien-Hits – von Manche mögen's heiß (1959) über Tootsie (1982) bis Mrs. Doubtfire (1993) – steckt hier niemand erzwungenermaßen im Kostüm. Fitzgerald feiert die Vielfalt; in seinem Film wird gemeinsam mit den Protagonist*innen gelitten und gelacht. Wenn Maybelline ganz am Schluss ihr Nachtklubdebüt gibt, ist sie ihrem Sohn auf wundervolle Weise ganz nah

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/stage-mother-2020