Code Ava (2020)

Die seelische Not einer Auftragsmörderin

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Profikiller*innen sind einsame Leute. Sie dürfen sich niemandem anvertrauen, können nicht an der Bar oder im Familienkreis über den Job sprechen. Ava (Jessica Chastain) aber sucht wenigstens mit den Opfern, kurz bevor sie sie im Auftrag einer geheimen Organisation ins Jenseits befördert, das Gespräch. Was sie denn Schlimmes getan hätten, möchte sie wissen. Ihre Vorgesetzten halten Ava wegen dieser Regelverletzung für ein Sicherheitsrisiko. Sie soll eine Auszeit nehmen, verlangt ihr ehemaliger Ausbilder und Mentor Duke (John Malkovich), der ihre Kontaktperson ist. Aber „das Management“, wie Duke die Chefetage bezeichnet, die Ava selbst gar nicht kennt, hat die Jagd auf sie bereits eröffnet.

Der Actionthriller des amerikanischen Regisseurs Tate Taylor (The Help, Girl on the Train) führt seine Heldin Ava als sexy Lady ein, die ihre männlichen Opfer becirct, bevor sie die tödliche Waffe zückt. Im roten Abendkleid ist sie die Attraktion eines hochkarätigen politischen Empfangs in Saudi-Arabien. Doch Duke hat ihr eine falsche Instruktion gegeben, sie fliegt am Tatort auf und muss nun ihre beeindruckende Kampfkunst und blitzschnelle Auffassungsgabe unter Beweis stellen. Nachdem sie einige männliche Gegner erledigt hat, tarnt sie sich als schutzbedürftige, verängstigte Frau, die sich gerne von einem Soldaten aus der Gefahrenzone eskortieren lässt.

Doch dieses Bild einer nahezu unfehlbaren Königin im Kampf und auf dem Parkett bekommt allmählich Risse. Duke erinnert Ava an ihre Klinikaufenthalte, um sie vor sich selbst zu warnen. Während einer Montage mit Szenen aus ihrer Kindheit, Jugend und Ausbildung fallen aus dem Off beunruhigende Urteile über sie: Beim Militär habe sie Befehle hinterfragt, Alkoholikerin sei sie auch gewesen.

Ava nimmt ihre Auszeit und kehrt in ihre Heimatstadt Boston zurück, die sie vor Jahren fluchtartig verließ. Ihre jüngere Schwester Judy (Jess Weixler) nimmt ihr das damalige Verschwinden immer noch übel. Sie ist nun mit Michael (Common) liiert, der einmal Ava heiraten wollte. Ava bezieht ein Zimmer im Hotel – nichts könnte ihre Einsamkeit besser ausdrücken, außer vielleicht noch der Umstand, dass die einzigen, denen sie erzählt, was ihr Vater mit ihrer Flucht aus Boston zu tun hatte, die Anonymen Alkoholiker sind.

Eine interessante Noir-Komponente durchzieht diese Geschichte und prägt sie stärker als die nur mitlaufende feministische Note einer Heldin, die sich in einer klassischen Männerdomäne durchboxt. Bald ist Avas private Geschichte, also der Drama-Anteil des Films, spannender als der actionreiche Kampf der Profikillerin ums physische Überleben. Jessica Chastain versteht es sehr überzeugend, den seelischen Schmerz Avas, ihre weiche Seite darzustellen, jenseits aller Worte. Die Heimkehr ist für sie mit Hoffnungen verbunden, aber auch mit desillusionierenden Erkenntnissen.

Die Beziehungen Avas zu den Nebenfiguren sind interessant und konfliktgeladen. John Malkovich verleiht dem undurchsichtigen Duke eine ironische Note. Mit Avas Ex-Freund Michael kommt auch die Liebe ins Spiel. Geena Davis beeindruckt in der kleinen, aber komplexen Rolle der Mutter Avas. Mit ihrer Präsenz und ihrem Autoritätsanspruch schlägt diese schillernde, ambivalente Figur nicht nur Ava, sondern auch die Zuschauer*innen in Bann.

Was Härte und Kampfkunst anbelangt, steht Ava in einer Reihe mit den Geheimagentinnen in Atomic Blonde von David Leitch oder Anna von Luc Besson. Sie kann nicht nur mit der Pistole umgehen, sondern muss auch mehrere Nahkämpfe bestehen. Diese wirken gleichwohl nicht so sehr auf das Spektakuläre hin getrimmt, sodass man der Heldin ihre menschliche Natur kaum mehr glauben würde. Vielmehr beziehen einige Kampfszenen ihren Reiz aus dem Eindruck, bei aller Härte noch geerdet zu sein. Das gilt auch für das Kräftemessen Avas mit ihrem Erzfeind Simon (Colin Farrell), sobald er aus dem Hintergrund tritt.

Der Musikteppich, der dem Film vor allem anfangs und in Actionszenen unterlegt ist, erinnert in seiner Dichte und elektronischen Monotonie an ein Videospiel. Auch fehlt der Geschichte und ihrer Inszenierung geschmeidige Raffinesse. Die Montage wirkt oft etwas hölzern, die Dinge, die passieren müssen, werden aufs Tapet gebracht, ohne dass groß auf inhaltliches Zusammenpassen und den Erzählfluss geachtet wird. Aber die fatalistische Noir-Atmosphäre, der Verzicht auf überzogenes Actionspektakel und nicht zuletzt die guten Schauspieler geben der Geschichte einen soliden Unterhaltungswert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/code-ava-2020