Lotti oder der etwas andere Heimatfilm (2020)

Der Besuch des Porno-Stars

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Wenn Lotti Funke (Marion Mitterhammer) zu Beginn im leopardengemusterten Mantel, in gefakter Stewardessen-Uniform und mit hochhackigen Schuhen am Bahnhof von Bleicherode ankommt, ahnt man rasch, dass sie an diesem Ort in der thüringischen Provinz sehr viel Aufmerksamkeit erregen wird. Bald wird sie abfällig als „die verlorene Tochter der Stadt“ bezeichnet – und es wird klar, dass Lotti und Bleicherode eine gemeinsame Vergangenheit haben, so sehr die 48-Jährige inzwischen auch wie ein Fremdkörper in der Kleinstadt wirken mag.

Der Plot von Lotti oder der etwas andere Heimatfilm erinnert zuweilen an Friedrich Dürrenmatts tragikomischen Dreiakter Der Besuch der alten Dame (1956): In beiden Fällen geht es um die Rückkehr einer Frau in die Heimat, um die Verletzungen von einst und um die Bigotterie einer Gemeinschaft, die von der Angereisten clever entlarvt wird. Der Filmemacher Hans-Günther Bücking (Die Häupter meiner Lieben) richtet den Fokus dabei weniger auf die enthaltenen Elemente einer antiken Tragödie, sondern vor allem auf das Groteske. Er stellt die Lächerlichkeit von kleingeistigem Denken und von Doppelmoral bloß, ohne die mörderisch-düsteren Pfade Dürrenmatts einzuschlagen.

Wie sich im Laufe der Handlung herausstellt, hat Lotti vor zehn Jahren ihre inzwischen 16-jährige Tochter Jenny (Joyce Schenke) bei der eigenen Mutter zurückgelassen, die nun verstorben ist. In Wien ist Lotti zum Porno-Star avanciert, wovon Jenny indes nichts weiß. Während sie bei ihrer Jugendfreundin Lili (Judith Srocke) unterkommt, will Lotti wieder eine Beziehung zu ihrer Tochter aufbauen. Jennys gerade volljährige beste Freundin Kitty (Jessika Weiß), die sich für sie verantwortlich fühlt, soll Lotti dabei helfen. Doch nicht nur Jenny, sondern auch ein Großteil der übrigen Gemeindemitglieder steht der Zurückgekehrten äußerst ablehnend gegenüber. So etwa Mandy (Diana Kölling), die Gattin von Lottis Verflossenem Benno (Andreas Schieke), oder der Konditor Dieter (Dirk Kölling), der seine Frau Gitti (Vanessa Lenk) mit der jungen Manuela (Anna Neuschulz) betrügt.

Bücking selbst stammt aus Bleicherode – und hat den Film mit zahlreichen Einheimischen vor und hinter der (von ihm geführten) Kamera realisiert. Die Musik steuerte der in Bleicherode aufgewachsene Komponist Matthias Müller, Kopf der Thüringer Rockband EMMA, bei. Das Werk hat insgesamt einen recht rumpeligen Charme. Die darstellerischen Leistungen sind durchwachsen, die karikatureske Zeichnung der Figuren driftet mitunter ins durch und durch Alberne ab – und die Inszenierung schwankt zwischen derbem Boulevardtheater und gekonnter Kino-Comedy. Als verlässliche Stärke erweist sich wiederum Bückings Ehefrau Marion Mitterhammer in der Hauptrolle. Die österreichische Schauspielerin (Pingpong, Die Vaterlosen) verleiht ihrem Part die nötige Würde und wird zu einer glaubwürdigen Heldin in einem ziemlich abgedrehten Umfeld. „Gerechtigkeit für eine Milliarde“, forderte die wohlhabende Protagonistin bei Dürrenmatt; bei Bücking muss die Titelgeberin für die Gerechtigkeit nicht zahlen, sondern lässt sich noch bezahlen – und man gönnt ihr den Triumph beim Zuschauen ganz und gar.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/lotti-oder-der-etwas-andere-heimatfilm-2020