After Munich (2019)

Der lange Schatten der heiteren Spiele

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ankie Spitzer erinnert sich noch gut an die gelöste Stimmung im Olympischen Dorf in München, wo die Mannschaften der Sommerspiele 1972 untergebracht waren. Die Leute hätten sich zwanglos im Freien getroffen, Tischtennis gespielt, Spaß gehabt. Trotz ihrer Bedenken sei ihr Mann, der israelische Fechttrainer André Spitzer, einmal spontan auf die libanesischen Fechter zugegangen, sie habe sie plaudern und lachen gehört, „als gäbe es gar keinen Krieg“. Sie hat nicht vergessen, wie er ihr danach sagte, er sehe in dieser zwischenmenschlichen Begegnung ein Symbol dafür, was die Olympischen Spiele sein sollten.

Die Olympischen Spiele von München waren auf dem besten Weg, als die „heiteren Spiele“ in die Geschichte einzugehen. Stattdessen aber bleiben sie für immer mit dem Attentat der palästinensischen Terrorgruppe Schwarzer September verbunden, das am Morgen des 5. September begann. Acht palästinensische Terroristen drangen in das Quartier der israelischen Mannschaft ein, töteten zwei Männer und nahmen neun als Geiseln. In der Nacht zum 6. September endete die Geiselnahme auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck bei einem katastrophal gescheiterten Befreiungsversuch der deutschen Polizei in einem Blutbad. Die Terroristen töteten alle Geiseln. Auch fünf der Attentäter und ein Polizist kamen ums Leben. André Spitzer verließ München in einem Sarg.

Die kanadische Filmemacherin Francine Zuckerman scheint sich bewusst zu sein, dass sie mit dem Thema ihres Dokumentarfilms kein Neuland betritt. Sie verzichtet auf eine längere Betrachtung der Ereignisse in München, spart besonders die Interventionen der deutschen Politiker und Sicherheitskräfte aus. Somit setzt sich ihr Film von Kevin Macdonalds mit dem Oscar prämierten Dokumentarfilm Ein Tag im September aus dem Jahr 1999 ab. Zuckerman konzentriert sich auf vier Frauen, deren Leben auf unterschiedliche Weise vom Attentat geprägt wurden: Die Witwe Ankie Spitzer, die Leichtathletin Esther Roth-Shachamorov sowie zwei Agentinnen des israelischen Geheimdienstes Mossad. Sie gehörten der Sondereinheit an, die den Auftrag bekam, die überlebenden Terroristen von München und ihre Hintermänner zu töten.

Die Witwe Ankie Spitzer erzählt unter anderem von ihrem jahrzehntelangen, letztlich erfolgreichen Kampf um die Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer im Olympiazentrum in München und eine offizielle Gedenkveranstaltung im Rahmen einer Olympiade. Das meiste davon ist aus früheren Interviews und Stellungnahmen bekannt. Dennoch ist auch vieles berührend, etwa als sie sagt, dass es wichtig war, auch die Kinder der Opfer von München Jahre später zu Olympischen Spielen mitzunehmen und ihnen zu zeigen, von welcher Idee ihre Väter begeistert waren.

Die israelische Läuferin Esther Roth-Shachamorov nahm als 20-Jährige an den Spielen 1972 in München teil und lief einen Rekord in einem 100-Meter-Lauf. Nach dem Attentat, bei dem sie ihren Trainer Amitzur Shapira verlor, reiste sie mit den anderen Überlebenden des israelischen Teams aus München ab. Sie erinnert sich im Gespräch an den Stolz, den sie in der Mannschaft bei der Eröffnungszeremonie wahrgenommen hatte, den Staat Israel in Deutschland zu repräsentieren. Nach ihrer Heimkehr erlebte sie in Israel eine gestiegene Popularität der Sportler*innen. Die Gesellschaft sei sich damals bewusst geworden, dass sie dem Sport einen höheren Stellenwert einräumen sollte. 

Marianne Gladnikoffs Gesicht bleibt im Schatten, wenn sie spricht.   Sie gehörte zu der Einheit des Mossad, die 1973 im norwegischen Lillehammer den als Kommandeur des Schwarzen September geltenden Ali Hassan Salameh zur Strecke bringen wollte. Doch die Agent*innen hatten ihn mit Ahmed Bouchiki, einem unbescholtenen Kellner marokkanischer Abstammung, verwechselt. Sie erschossen den Mann auf offener Straße.

Gladnikoff erzählt, wie sehr dieser tragische Irrtum ihr weiteres Leben belastete. Aber ihre Einlassungen bleiben vage. Die Regisseurin setzt aus dramaturgischen Gründen, die wenig glücklich wirken, auf einen Vergleich dieser unglamourösen Randfigur des Mossadkommandos mit ihrer schillernden Kollegin Sylvia Raphael, mit der sie eine Weile in einem Osloer Gefängnis einsaß. Raphael, die 2005 starb, wird hier in den Erinnerungen mehrerer Leute, die sie kannten, als eine Art Emma Peel stilisiert. Mit ihrer Schönheit habe sie Männern den Kopf verdrehen können und zugleich mit Intelligenz und Entschlossenheit tödliche Ziele verfolgen. Der Film beschwört mit Fotos von ihr und einer merkwürdigen Reenactment-Szene eine Agentenfilm-Atmosphäre herauf, die sehr gewollt wirkt. Es erschließt sich nicht, warum die beiden Agentinnen hier überhaupt vorkommen, dafür bleiben die Passagen zu oberflächlich.

Insgesamt hinterlässt Zuckermans Film also einen zwiespältigen, sogar enttäuschenden Eindruck. Er vertraut zu sehr auf die Relevanz des Ereignisses, auf das er sich bezieht, und vernachlässigt die eigene Perspektive. Offenbar hat die Regisseurin keinen richtigen Angriffspunkt gefunden, um sich überzeugend in einzelne bekannte Aspekte zu vertiefen oder neue zu erschließen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/after-munich-2019