Sommer 85 (2020)

Halbgar, halbherzig, halbegal

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Basierend auf Aidan Chambers Young-Adult-Roman Tanz auf meinem Grab erzählt Ozon von der heiß-tragischen Sommerliebe zweier Jungs in Frankreich: Alexis (Félix Lefebvre) ist 16 Jahre alt, blond und im doppelten Sinne blauäugig und hat ein Faible für alles rund um das Thema Tod. Außerdem sind gerade Sommerferien und er hat nichts zu tun. Als er mit dem Boot rausfährt und in einen Sturm gerät, rettet ihn der eloquente und stark von sich selbst beeindruckte David (Benjamin Voisin). David ist selbstbewusst, redet gern und findet den eher schüchternen Alexis sofort toll. Ohne viel Umschweife macht er ihn zu seinem neuen Freund. Seine leicht neurotische Mutter ist dem Jungen ebenfalls angetan, und so wird er innerhalb eines Tages direkt in die Familie und ins Familiengeschäft aufgenommen.

David leitet nämlich trotz seines jungen Alters den Laden seines jüngst verstorbenen Vaters. Alex ist erst überrumpelt, lässt sich dann aber auf den Wirbelwind ein und die beiden werden in allerkürzester Zeit ein Paar. Sommer, Sonne, Bootspartien und Ausflüge mit Davids Suzuki sind an der Tagesordnung, und das Leben könnte nicht schöner und belangloser sein, wäre da nicht David, der ab und zu recht eigenartige Dinge tut. Einmal fährt er gefährlich schnell und nah an anderen Autos in Schlängellinien auf der Straße, sodass Alex ganz angst und bange wird. Ein anderes Mal in einem Moment voller jugendlicher Morbidität zwingt David Alex, einen Pakt einzugehen: Wer auch immer von den beiden als letzter stirbt, muss auf dem Grab des anderen tanzen.

An diesem Punkt ist schon längst klar - denn die Narration von Alex verrät es bereits am Anfang des Films -, dass David bald sterben wird. Die Frage ist noch wie und warum. Doch eine andere Frage drängt sich alsbald auf: Warum sollte man eigentlich interessiert sein? Denn Summer of 85 entpuppt sich schnell als äußerst generisch und spröde noch dazu. Zum einen sind beide Figuren, David und Alex, reine Abziehbilder ohne irgendeine Tiefe. Der eine ist ein Rebell und Verrückter, der andere ist der brave Schüchterne mit dem goldenen Herzen. Zwar werden hier und da mal Themen angedeutet - der tote Vater Davids, die Arbeiterfamilie von Alex -, doch Ozon ist eigentlich nicht interessiert, dies zu vertiefen, um den Charakteren mehr Züge zu verleihen.

Gleiches gilt für die Geschichte an sich. In Windeseile und ohne viel Gefühl und Chemie kommen die Jungs zueinander und sind dann irgendwie zusammen. Warum, ist unklar, und auch die vielfach proklamierte heiße Liebe überträgt sich nicht aufs Publikum. Kurzum, eigentlich ist einem alles Schnuppe, was hier passiert, selbst wenn man dieses Genre liebt. Erstaunlich, wie altbacken und lustlos diese junge Liebe gezeigt wird, und das bei einem Film, bei dem man eh nicht erwartet, dass er dem Genre selbst etwas Wichtiges hinzuzufügen hätte. Da möchte man schon gar keinen Verweis zu Call Me By Your Name ziehen, so groß sind die Unterschiede, dass einem dieser Vergleich wie ein Todesstoß vorkommen muss.

Doch da wäre dann dnoch das Tragische, welches sich in Summer of 85 doch über das übliche Ende der Liebe als tragischen Moment hinwegsetzt und dem Ganzen durch den Tod das Ende bereitet. Schon seit den alten Griechen gibt es nichts Schlimmeres als junge Liebhaber, die sterben. Eros, der durch Thanatos besieht wird — klassischer geht es nicht, und man möchte meinen, dass man hier immer etwas bewegen kann. Doch ach, auch hier will Ozon keine Leidenschaft oder Begeisterung für die Geschichte aufkommen lassen. Vielmehr zergeht sich sein Werk hier in Tränchen und Gesuhle, die man eine Weile, aber nicht den ganzen Film lang mittragen will und dann doch aufgibt. Denn was soll man sein Herz verlieren an eine Geschichte, die ihr eigenes nicht einmal so recht in Wallung bringen kann? Selbst der Tod ist halbgar, halbherzig, halbegal. Da rettet den Film am Ende nicht mal die 80er-Jahre-Nostalgie (so man die denn mitbringt) über die Ziellinie. Der Film, er bleibt ein laues Lüftchen im französischen Sommerwind.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/sommer-85-2020