Die traurigen Mädchen aus den Bergen (2019)

„Wir instrumentalisieren hier den männlichen Blick für unsere Zwecke!“

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Der Theoriefilm hat sich in den letzten Jahren eine Nische im deutschen Film eingerichtet, die zwar nur ein sehr kleines Publikum adressiert, dieses dafür aber mit reichlich Begeisterung erfüllt. Nach dem etwas zu ernsten "Der lange Sommer der Theorie" (Irene von Alberti, 2017) oder den sehr akademischen Filmen von Max Linz (zuletzt "Weitermachen Sanssouci", 2019) lüftet die Porno-Komödie "Die traurigen Mädchen aus den Bergen" von Candy Flip und Theo Meow das von Natur aus angestaubte Genre ordentlich durch.

Als Mockumentary baut der Film präzise den eigenwilligen Gestus der Fernseh-Jugend-Reportage nach, die jetzt auch Internet kann (oder gerne könnte): Moderator Hendrik Adams – eher am oberen Ende der Millenial-Generation, aber jung und fresh geblieben – ist auf dem Weg zu einer ganz besonderen Story für sein Format „Gonzo“. Mit Hoodie und lässiger Schirmmütze, in Begleitung seiner Kamerafrau Katharina Hübner, besucht er die traurigen Mädchen in den Bergen. Diese Sad Girls, ein Kollektiv von vier jungen Frauen, haben sich an einen geheimen Ort zurückgezogen, an dem sie Pornos produzieren, die Erlöse an kurdische Frauenmilizen spenden und in der politischen Passivität ihrer sexy Traurigkeit dem Patriarchat den Kampf ansagen.

Hervorragend gelingt es dem Film dabei, die Töne jener höchst angestrengt unangestrengten Formate zu imitieren, die es sich zur Aufgabe machen, „die Jugend“ zu verstehen, indem sie lässig mit „der Jugend“ ins Gespräch kommen. Die traurigen Mädchen aus den Bergen gestaltet zugleich auch eine Parodie jener YouTuber, die ebenfalls nicht mehr ganz so hip sind wie sie es vielleicht vor zehn Jahren noch waren (oder gerne gewesen wären). Mit der Mutter eines der vier Mädchen trifft sich Moderator Hendrik zum Gespräch, sie zeigt ihm Fotoalben und sitzt rauchend in der Küche – wie es sich für die Mitleids-Sozialreportage im Vorabendprogramm gehören würde. Auf dem Weg zum geheimen Aufenthaltsort des Kollektivs wiederum witzelt Hendrik ein bisschen post-ironisch über die krassen Storys, die er schon gefilmt hat, und macht ein paar Altherrenwitze über seine Kamera-Frau, die er mit großzügiger Geste auch zum Teil der Reportage macht – ganz so wie man es von der homöopathischen Dosis Selbstironie vieler erfolgreicher und männlicher YouTuber kennt.

Der Film macht diese Parodien allerdings noch eine Stufe interessanter und belässt es nicht bei einer ästhetischen Spielerei. Denn die peinliche Distanz des doch etwas zu alten Moderators zu seinem jugendlichen Gegenstand, die aus den referenzierten Formaten bekannt ist, wird hier noch einmal verdoppelt in der Distanz des männlichen und höchstens vordergründig zur Selbstreflexion fähigen Moderators, der nun ein feministisches Porno-Kollektiv besucht. Wenngleich die Nähe zur Stromberg-Figur gelegentlich etwas zu deutlich hervortritt, überträgt Die traurigen Mädchen aus den Bergen diesen Gestus jedoch wunderbar auf jenen Typ hochaufgeklärter Männer, die auf jeden Fall (!!!) auch sehr feministisch sind! Etwas ratlos wird Hendrik dann, als die vier Mädchen ihn dafür auslachen, dass er, nur weil er Tiqqun gelesen hat, sich nun über den Feminismus der Sad Girls erhaben fühlt.

Darin liegt dann der Kern des Films, den er mit den anderen Vertretern seines Genres teilt: Es geht eben nicht einfach nur darum, ein bisschen Medien-Parodie auf außerordentlich gekonnte Weise mit pornographischen Szenen als kritische feministische Ästhetik zu entwerfen, sondern auch um die ausdrückliche, von den Figuren immer wieder aufgenommene Diskussion sehr spezifischer theoretischer Linien. Was heißt es, als trauriges Mädchen aus privilegiertesten Verhältnissen in dieser Traurigkeit und Passivität mit dem vollen Ausschöpfen kapitalistischer Logik politisches Potenzial zu behaupten? Wie unterscheidet sich diese Form eines glitzernden Pop-Feminismus von den – im Film ebenso parodierten – lokalen, eher analogen und auf strukturelle, institutionelle Verschiebungen hinwirkenden Aktivist*innen? An welchem Punkt wird Theorie zum Selbstzweck, um Diskurse doch wieder abzudichten, die eigentlich angetreten waren, eben diese Abdichtungen und Exklusion zu sprengen? Oder: Wieviel Poststrukturalismus muss ich gelesen haben, um mir eine bessere und freiere Welt vorstellen zu können?

Das Problem, das Die traurigen Mädchen aus den Bergen ganz wie andere jüngere Theoriefilme hat, liegt in der extremen Verdichtung dieser Diskussionen, die dann häufig in post-post-post-ironischer Selbstreflexion auströpfeln und wenig Mut zu starken Thesen haben, mit denen sie über den Stand der aufgenommenen Diskurse hinausgehen würden. Ja, es ist verdammt schwer, zwischen harten und über Jahrzehnte akademischer Auseinandersetzung geformten Theorien auf der einen Seite und konkreten, praktischen Veränderungen am Status Quo auf der anderen Seite zu vermitteln. Das ist aber kein neues ein Problem.

Die traurigen Mädchen aus den Bergen findet natürlich keine Antworten auf seine übergroßen Fragen – das wäre auch nicht Aufgabe dieser Mockumentary. Gerade weil aber die Figuren des Theoriefilms dazu neigen, sehr voraussetzungsreiche Diskussionen zu führen, die sich an ein kleines, akademisches Publikum richten, wäre mehr Mut auch zur politischen Polemik gerade in diesem Film möglich gewesen. Die großartige Selbstentlarvung medialer Formate, deren imitierte Ästhetiken brachial mit jenem Sexismus konfrontiert werden, der in ihnen vorgeblich doch längst überwunden sei, hätte den Raum eröffnet, auch mit der eigenen Theoriebegeisterung brachialer umzugehen, ohne sich dann doch in die Sicherheit der potenziell endlosen Schleife ironischer Distanzierung zu retten. Dass es aber tatsächlich gelingt, erfolgreich Porno-, Medien- und Theorie-Satire zugleich zu sein, ist am Ende schon allein sehenswert.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-traurigen-maedchen-aus-den-bergen-2019