Wage es nicht (TV-Serie, 2019)

Zu viel gewollt

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Die ersten Minuten der ersten Folge sind aus mehreren Gründen entscheidend, sie setzen den Ton für den Fortgang der Serie: Wir sehen eine Straße in einer amerikanischen Vorstadt in Dunkelheit getaucht, nur ein Auto bewegt sich langsam vorwärts. Am Steuer ein Teenager, eine Stimme aus dem Off, die über die Gefährlichkeit der Langeweile von weiblichen Teenagern sinniert. Dann der Blick aufs Smartphone, man sieht Nachrichten einer Beth, doch kaum leserlich, da eine Substanz auf dem Display verschmiert wurde. Ist das Blut? Dann die Finger, auch an ihnen scheint dieselbe Flüssigkeit zu kleben. Der Blick in ein Haus, dann die Hand am Fenster.

Eine Obsession, die aus dem Ruder läuft; eine Hand, die Härte, Strenge und Gehorsam fordern wird, die in den Bauch einer Teenagerin zwicken und ihr damit deutlich machen wird, dass sie abspecken muss; Blicke des Begehrens – oder der Manipulation; immer wieder Vorblenden und Rückblicke.

Wage es nicht oder, wie es im englischen Original heißt – und wesentlich besser passend – Dare Me versucht vieles zu sein: ein Drama über menschliche Abgründe, über Leidenschaft und Begehren, über Vertrauen und die, die es missbrauchen, über Ambitionen, über zerrüttete Familien und solche, die es noch nicht sind.

Serien, die das amerikanische Highschool-Leben in all seinen Facetten und aus verschiedenen Blickwinkeln bearbeiten, gibt es viele. Nun wurde dem Genre, dass mal hell, musikalisch und überdreht (z.B. Glee) oder dunkel, versnobt, missgünstig (z.B. Gossip Girl) daherkommt und auch nicht vor Mordfällen zurückschreckt (z.B. Riverdale), eine neue Variante mit Fokus auf die „High Society“ an den High Schools hinzugefügt: Cheerleader.

Wenn man es schafft, ein Cheerleader zu werden, dann gehört man – zumindest auf der weiblichen Seite – zu denen, die es in der Schulrangliste nach ganz oben geschafft haben: Addy Hanlon (Herizen F. Guardiola) und Beth Cassidy (Marlo Kelly) sind Teil des ‚Squats‘ an der High School in Sutton Grove. Und damit Teil der Hoffnung von Beths Vater, Bert Cassidy (Paul Fitzgerald) auf einen Aufschwung der Stadt, hervorgebracht durch sportliche Exzellenz. Zu diesem Zweck wird Coach Colette French (Willa Fitzgerald) engagiert: Sie soll das Team, welches zurzeit von Beth selbst trainiert wird, sie ist die Kapitänin des Teams, in Form bringen. Mit Coach’s Ankunft werden die Dynamiken im Squat selbst, aber besonders die zwischen Addy und Beth verändert.

Damit ist die Grundkonstellation gesetzt: eine Dreieicksgeschichte zwischen Beth, Addy und Coach, die jedoch lange nur vage Vermutung bleibt, wird den offensichtlichen Anziehungen zwischen zum einen Beth und Addy und Addy und Coach nur sehr spät nachgegeben. Das ist auch der stärkste Aspekt der Serie. Wie gezeigt wird, dass eine Freundschaft für die eine mehr sein kann als für die andere. Wie schmerzhaft es ist, wenn sich die beste Freundin und gleichzeitiges Objekt der Liebe langsam abwendet und man uninteressant wird.

Dann erschüttert ein Mordfall die Stadt, in den alle auf die ein oder andere Weise mit hineingezogen werden. Bis es dazu jedoch kommt, bis die Serie wirklich Fahrt aufnimmt, dauert es. Sie entwickelt sich langsam. Was auch an der Mischung liegen dürfte, aus der Wage es nicht hergestellt wurde.

Denn sie ist Produkt einer Marketing-Strategie, die zwar oftmals aufgeht, aber genauso oft daneben gehen kann: man versucht, so viele gut laufende Trends wie möglich zu vermischen, das ganze stilistisch überzeugend zu verpacken, um möglichst viele vor den heimischen Endgeräten abholen zu können. Mystery, Mord, lesbische Liebe, menschliche Abgründe, körperliche Exzellenz vermischt mit einem Hip-Hop-Soundtrack und nebenbei möchte man noch auf die abgehängten Städte Amerikas aufmerksam machen. Genau diese Mischung bilden die ersten Minuten ab. Das ist zu viel.

Die bereits angesprochene Komplexität, das, was die Serie alles sein will, steht ihr letztendlich im Weg, sich zu positionieren. Wird z.B. die Körperlichkeit der jungen Frauen kritisiert oder gefeiert? Die Aufnahmen zeigen, zu welchen Höchstleistungen deren athletische Körper im Stande sind. Dass Cheerleading mehr als Anfeuerungsrufe am Spielfeldrand ist. Dass dazu jedoch auch Bulimie, rigide Diäten bis hin zu pathologischem Essverhalten gehören wird gezeigt, ohne es zu kommentieren, als Teil der Kultur hingenommen. Dass auch Coach selbst immer wieder Härte, Stärke und Unnachgiebigkeit, unbedingtes Geltungsstreben und Rivalität fordert und propagiert, kann man zum einen als missverstandenen Feminismus deuten – die Frauen sind genauso hart wie die Kerle, man muss ihnen nur die Chance geben – und andererseits als (mögliche) Kritik an der Kultur selbst. Die Serie scheint an dieser Stelle mit Hassliebe auf ihr Objekt zu blicken, was viele der Aufnahmen hoch problematisch macht, scheinen sie doch die angesprochenen Verhaltensweisen zu sanktionieren, statt sie anzuprangern.

Hätte man sich auf den Kern der Serie, die drei Frauen und ihr Verhältnis zueinander fokussiert, hätte die Serie um einiges stärker sein können. Stilistisch versucht sie, schöne und spannende Bilder zu schaffen, was im Hinblick auf die sportlichen Aufnahmen auch gelingt, wie wenn Glitter und Wasser sich zu einer langsamen Choreografie aus tausend glitzernden Partikeln vermischen. Meistens kommt sie jedoch nicht über Bilder hinaus, die man schon oft gesehen hat.

Marlo Kelly liefert sicher die herausragendste Leistung ab, dicht gefolgt von Herizen F. Guardiola. Willa Fitzgerald als Coach ist hingegen viel schwerer zu fassen. Was zum einen an dem Charakter liegt, den sie darstellt, zum anderen aber auch an ihrer unterkühlten Spielweise, sodass sie oft weniger manipulativ als vielmehr leer wirkt. Eine undurchsichtige und leider auch langweilige Fassade.

Ohne zu viel zu verraten: wer es bis zum Ende der Serie schafft, wird mit einem Plottwist belohnt, mit dem wahrscheinlich so gut wie niemand gerechnet hat. Das ist gut. Addys Reaktion darauf zeigt jedoch erneut, dass die Serie sich ihrer eigenen Position nicht sicher ist. Das ist schade. Das offene Ende verspricht jedoch eine Fortsetzung. Schauen wir mal, ob es Netflix wagen wird.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/wage-es-nicht-tv-serie-2019