Candyman (2021)

Tod aus dem Spiegel

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Mit gerade einmal zwei Regiearbeiten, den satirisch gefärbten Schockern „Get Out" und „Wir", konnte sich der als Komiker bekannt gewordene Afroamerikaner Jordan Peele als ambitionierter, das Übel des Rassismus ins Blickfeld rückender Horrorarrangeur etablieren. Inzwischen zu einer Marke geworden, wecken viele Projekte, in die er involviert ist, große Erwartungen. Erst recht, wenn der gebürtige New Yorker seine Hände an einen Stoff legt, der einen gewissen Kultstatus genießt. Bernard Roses zwischen Imagination und Wirklichkeit pendelnde Gruselmär „Candymans Fluch", die lose auf einer Kurzgeschichte des Hellraiser-Schöpfers Clive Barker basiert, erfährt dank Peele, der hier als Produzent und Ko-Drehbuchautor agiert, eine Auffrischung. Der Titel „Candyman" – so heißt im Original auch der Ursprungsfilm von 1992 – lässt ein Remake vermuten. Beworben wird der neue Horrorstreifen allerdings als „spirituelle Fortsetzung“ ohne Verbindung zu den bereits erschienenen Sequels „Candyman 2 – Die Blutrache" und „Candyman 3 – Der Tag der Toten".

Schaut das Rose-Werk aus der Sicht der weißen, über urbane Legenden forschenden Doktorandin Helen Lyle (Virginia Madsen) auf das Schicksal einer schwarzen Community, führt uns Peeles Candyman, den die Little Woods-Regisseurin Nia DaCosta inszeniert hat, tief hinein in die afroamerikanische Erfahrungswelt. Im Mittelpunkt steht der kreativ etwas ausgebrannte Maler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II), der mit seiner Freundin Brianna Cartwright (Teyonah Parris), einer aufstrebenden Galeriemitarbeiterin, erst vor kurzem in eine schicke Wohnung gezogen ist, die genau dort liegt, wo früher der berüchtigte Chicagoer Sozialbaukomplex Cabrini-Green stand. Ein bevorzugt von Schwarzen Menschen bewohntes Viertel mit vielen Problemen, das der Prolog aus dem Jahr 1977 als belebten Schauplatz zeigt. 2019 erinnern in dem inzwischen fast vollständig aufpolierten Bezirk nur noch ein paar verfallene Häuser an die einstige Siedlung, in der Helen Lyle in Candymans Fluch den gruseligen Erzählungen über die titelgebende Schreckgestalt (Tony Todd) mit der Hakenhand nachspürt.

Als Anthony beschließt, künstlerisch wieder durchzustarten, sucht er Inspiration in der Sage um den mörderischen Schlitzer, den man herbeirufen kann, indem man seinen Namen vor einem Spiegel fünf Mal laut aufsagt. Bei einem Rundgang durch die Überreste Cabrini-Greens trifft der Maler auf den alteingesessenen Bewohner William Burke (Colman Domingo), der den Candyman als Kind gesehen hat und einiges über dessen schaurige Hintergrundgeschichte zu erzählen weiß. Anthony ist angefixt und stürzt sich in die Arbeit, während um ihn herum das Sterben anfängt.

Nicht gerade zimperlich geht es im Film zur Sache. Fließt das Blut, wird es auch mal deftiger. DaCosta, Peele und Co servieren dem Publikum aber natürlich mehr als nur ein paar krasse Schockeffekte. Das Phänomen der Gentrifizierung, das schon in Candymans Fluch thematisiert wird, spielt nun eine noch prominentere Rolle, wobei einige unbequeme Fragen aufblitzen: Sind womöglich auch Menschen wie Anthony und Brianna dafür verantwortlich, dass Wohnraum für sozial Benachteiligte vernichtet wird? Immerhin gönnen sie sich den Luxus einer topsanierten Wohnung in einer Gegend, die früher ganz anders aussah. Von zentraler Bedeutung für die Handlung sind überdies die Erfahrungen von Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt (auch durch weiße Polizisten). Spannend ist die Verbindung, die Candyman zwischen diesen traumatischen Aspekten und dem mythisch überhöhten Antagonisten herstellt. Der Film hat etwas zu sagen, liefert sozialkritische Denkanstöße und lässt die Kunstszene nicht unbedingt gut dastehen. Das Interesse für Anthonys Werke steigert sich erst dann schlagartig, als die blutigen Begleitumstände sie mit einer rätselhaft-unheilvollen Aura aufladen. Perfider geht es kaum!

Ins Auge sticht im Mittelteil, dass die unterschiedlichen Elemente und Gedanken nicht immer überzeugend miteinander verzahnt sind und zuweilen etwas Feinschliff vertragen könnten. Wie sich Anthonys wachsende, in furchteinflößende Bilder mündende Obsession mit der Candyman-Sage auf die Beziehung zu seiner Freundin auswirkt, kommt leider etwas kurz. Seltsam unfertig erscheinen auch die knappen Rückblenden in und Verweise auf Briannas Kindheit, die ihrer Figur Profil verleihen sollen. Irgendwie wird man jedoch das Gefühl nicht los, dass diese Informationen nachträglich in die Handlung eingefügt worden sein könnten. Wenig Bindung zum Rest des Geschehens hat ferner eine Begegnung zwischen weißen Teenagerinnen und dem Candyman in einer Schultoilette. Klischees bedient das Drehbuch vor allem in der Reihenfolge der Opfer. Dass die zwei unsympathischsten Gestalten als Erstes ein unschönes Ende finden, ist leicht zu erraten. Dafür muss man weiß Gott kein Horrorfilmexperte sein.

Eine dichte Atmosphäre des Unbehagens, wie sie Jordan Peele in Get Out und Wir fast durchweg erzeugt, macht sich in Candyman nur sporadisch breit. Statt Esprit und Experimentierfreudigkeit dominiert Routine die Gestaltung der Gruselszenen. Wer sich im Genre ein bisschen auskennt, wird sich von den Auftritten des Candyman wahrscheinlich nicht auf dem falschen Fuß erwischen lassen. Deutlich eindrucksvoller sind da schon einige optische Entscheidungen. Die auf dem Kopf fotografierten Straßenzüge Chicagos deuten auf das Spiegelmotiv hin. Und in Erinnerung behält man sicher auch die beunruhigenden Schattenspieleinschübe, in denen mithilfe von Papierfiguren zum Beispiel Helen Lyles Geschichte aus Candymans Fluch illustriert wird. Das von Peele produzierte und mitgeschriebene „spirituelle Sequel“ schlägt interessante Wege ein. Nach den gehetzt wirkenden letzten zwanzig Minuten drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass eigentlich noch etwas kommen müsste – tut es aber leider nicht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/candyman-2021