After Truth (2020)

Lauwarme Seife statt eiskalter Engel

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Im Jahre 1999 schrieb und inszenierte der US-Amerikaner Roger Kumble den Film „Eiskalte Engel“ – eine Geschichte über ein intrigantes Stiefgeschwisterpaar und eine unerwartete Liebe, verpackt in stylishe Bilder und unterlegt mit superb ausgewählten Songs, etwa von Placebo, Blur, The Cardigans und The Verve. Als Vorlage diente ihm der französische Briefroman Gefährliche Liebschaften (1782) von Choderlos de Laclos.

Nun hat Kumble abermals ein Drama um junge Menschen in emotionalen Nöten in Szene gesetzt. Als Basis fungierte diesmal jedoch kein stilprägendes Sittengemälde, sondern der zweite Teil einer Romanreihe, die ihren Ursprung in Fan Fiction zum Boygroup-Mitglied Harry Styles hat. Nach After Passion (2019) setzt sich mit After Truth die Leinwandadaption der von Anna Todd verfassten Belletristik fort; die Autorin war diesmal selbst am Drehbuch beteiligt. An den haarsträubenden Dialogen der Romane und der ersten Verfilmung wurde festgehalten. Wenn in einer schlecht motivierten Sexszene auf „Oh mein Gott!“ die Frage „Bin ich dein Gott?“ und die lustvoll exklamierte Antwort „Ja!“ folgen, bleiben eigentlich nur zwei Optionen: laut lachen oder vor (Fremd-)Scham im Boden versinken.

Das Gute ist: After Truth versucht, anders als dessen Vorgänger, nicht nur unbeabsichtigt, sondern ganz bewusst komisch zu sein. Dank der sympathischen Hauptdarstellerin Josephine Langford und des charismatischen Neuzugangs Dylan Sprouse gelingt das zuweilen sogar. Die beiden liefern hier und da ein paar Slapstick-Einlagen, die durchaus Screwball-Qualitäten erreichen. Im Zentrum steht gleichwohl noch immer die supernervige On-Off-Beziehung zwischen der von Langford verkörperten Studentin Tessa und deren Kommilitonen Hardin (Hero Fiennes Tiffin).

Nachdem Hardin Tessa in Teil 1 fies hintergangen hat, haben die beiden seit einem Monat nicht mehr miteinander gesprochen; Tessa hat sämtliche Nachrichten von Hardin ignoriert und tritt gerade ein Praktikum bei einem Verlag an. Aber natürlich kann sie den traumatisierten Bad Boy, mit dem sie ihr erstes Mal erlebt hat, nicht vergessen. Und so landen die beiden wieder zusammen im Bett – womit der Kreislauf aus Streit, Versöhnung und Sex (nicht zwingend in dieser Reihenfolge) erneut beginnt.

Die Beziehung zwischen Tessa und Hardin wird von Letzterem anfangs unter anderem in die Tradition von William Shakespeare und Emily Brontë gestellt. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass Hardin mehr als die ersten zwei Sätze der Wikipedia-Zusammenfassungen von Werken wie Romeo und Julia oder Sturmhöhe gelesen hat. Denn nichts – wirklich *gar nichts* – lässt hier an die Tragik und Dringlichkeit dieser Erzählungen denken. Vielmehr bewegt sich alles zwischen Groschenheft und aufgesexter Hochglanz-Soap.

Ein Praktikum bei einem Verlag bedeutet in der Welt von After Truth, dass Tessa an ihrem zweiten Arbeitstag – nachdem sie sich ganz doll ins Zeug gelegt hat – von ihrem Chef (Charlie Weber) und dessen Kollegin/Freundin (Candice King) auf einen Ausflug mitgenommen wird, in einer Suite residieren darf und in einem engen Glitzerkleid einen potenziellen Geschäftspartner beim Clubbing umgarnen soll. Während man als Zuschauer_in noch zu sortieren versucht, was daran alles falsch und lächerlich ist, hat das Beziehungschaos zwischen Tessa und Hardin auch schon wieder Fahrt aufgenommen. Klar ist Hardin ein Arsch, denkt sich Tessa – aber er ist auch richtig lieb zu seiner plötzlich auftauchenden Mama (Louise Lombard). Und deshalb geht’s weiter – bis zum nächsten Zoff, Unfall oder Missverständnis. Zwischendurch wird auf hanebüchene Art und Weise Küchenpsychologie betrieben – und irgendwann findet zwischen Tessa und deren Rivalin Molly (Inanna Sarkis) das albernste Handgemenge seit den berüchtigten Zusammenstößen zwischen Krystle und Alexis in Der Denver-Clan (1981-1989) statt.

In Eiskalte Engel schaffte es Kumble, die Eskapaden seines Personals bei aller Übertreibung ansprechend umzusetzen. Die Musik war stimmig, die Besetzung überzeugend und der Einsatz der Kamera gelegentlich recht originell. In After Truth geben die Lyrics der austauschbaren Pop-Lieder hingegen stets das wieder, was wir in den einfallslosen Aufnahmen ohnehin schon sehen. „I should know better than this“, heißt es gegen Ende in einem Song – und genau das trifft auch auf Tessa zu. Die erotischen Szenen gehören – wenn man alles Gesprochene auszublenden vermag – in ihrer spielerischen Art noch zu den besseren Momenten des Films, werten das Ganze indes nur bedingt auf. Wer sich selbst so hochtrabend mit Weltliteratur in Verbindung bringt, sollte deutlich mehr zu bieten haben. Da reicht ein bisschen Selbstironie wirklich nicht aus, um alle offensichtlichen Schwächen zu kaschieren.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/after-truth-2020