Schlaf (2020)

Heimsuchungen

Eine Filmkritik von Elisabeth Hergt

„Schlaf“ lief 2020 schon auf der Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino und ist der erste abendfüllende Spielfilm des Regisseurs Michael Venus. In dem düsteren Horrorthriller, der den Themen Schuld und Sühne eine mythische Dimension verleiht, spielen die Charaktere nicht nur Jenga mit sich selbst und ihren Traumata, sondern bringen auch ein fehlgeleitetes Traditionsbewusstsein ins Wanken.

Auf der Suche nach dem ultimativen Kick des Erwachens: die junge Mona (Gro Swantje Kohlhof) muss sich auf eine seltsame Mission begeben, um ihre Mutter Marlene (Sandra Hüller) von Alpträumen befreien und heilen zu können. Die abstrakten Visionen versetzen die Flugbegleiterin schon lange in einem extremen Zustand und verweisen auf ein traumatisches Erlebnis aus der Vergangenheit. Ein Foto aus der Zeitung führt Marlene zunächst an den vermeintlichen Ursprung ihres Leidens, zum Hotel Sonnenhügel in dem beschaulichen Ort Stainbach. Manifestiert durch ein Wildschwein, das sie zu verfolgen scheint, hat sie dort jedoch wieder eine Psychose, zerlegt ihr Zimmer und verfällt in einen dissoziativen Stupor. Marlene landet in der Psychiatrie, ist unfähig sich noch zu bewegen oder ein Wort herauszubringen, sodass Mona fortan für sie der Wahrheit auf den Grund geht und sich dabei selbst einer Art Schockstarre aussetzt.

Ein Dorf das Geheimnisse hütet, zwielichtige Gestalten und der Wald als Zeuge, der sie alle einschließt. Stets brodelt es in der Provinz und doch haftet ihr auch etwas Friedliches an, eine Ordnung ohne Widerhall, die lautlose Stille einer Gemeinschaft, die sich gut eingerichtet hat und jeder Unruhe von außen trotzt. Der Eindringling sorgt daher unwillkürlich für die Dekonstruktion der Umstände, eine Offenlegung von Wunden, die selbst versorgt wurden und einer erneuten Zerreisprobe nicht Stand halten würden. Als diabolisches Paar treten Lore (Marion Kracht) und Otto (August Schmölzer) auf, die das Hotel führen und Mona widerwillig aufnehmen. Dafür buhlt ihr Sohn Christoph (Max Hubacher), der im Dorfladen arbeitet, schon bald um die Aufmerksamkeit des fremden Gastes. Mona, die erwachsener sein muss, als sie sollte, wehrt sich nicht gegen Nähe, gibt sich dabei auch einer gewissen sexuellen Freizügigkeit hin und schaut sich gleichzeitig kritisch um. Sie wird mit einer mysteriösen Selbstmordserie konfrontiert und droht zunehmend selbst den Verstand zu verlieren. Erst die geheimnisvolle Trude (Agata Buzek), eine polnische Frau mit markantem Look, kann ihr sagen, was damals mit Marlene passiert ist und zieht die Schlinge um den Schuldigen dabei selbst immer fester zu.

Michael Venus erzählt mit seinem Film ein finsteres Märchen über familiäre Bande, populistische Strömungen und einen orientierungslosen Rudelführer. Otto spricht von Männern, die einsam voraus gehen, Herkunft und Heimat verteidigen müssen und große Abgänge bevorzugen. Vielleicht ist er der letzte seiner Art. Durch nichts ist er von seinem Konzept für die Zukunft abzubringen, während seine Frau ihn gleichzeitig jede Nacht wie ein wildes Tier ans Bett fixiert, damit er nicht ausbricht und sich selbst gefährdet. Marion Kracht verkörpert Lore mit beachtlicher Stärke. Überhaupt sind es die Frauen, die im Verlauf zunehmend zum Rundumschlag ausholen. Da gibt es Bille (Katharina Behrens), das coole Mädchen aus dem Ort, und Franzi (Martina Schöne-Radunski), die als einziges Dienstmädchen durch das völlig leere Hotel geistert. Die Jugend mischt auf. Trude kann als übergeordnete Gestalt gesehen werden, als Leitbache, die nach Vergeltung strebt und Marlene Schritt für Schritt wieder zum Leben erweckt. Sandra Hüller (Requiem, Toni Erdmann) und Gro Swantje Kohlhof (Wir sind die Flut, Endzeit) wiederum sind im Genre zu Hause und auch hier, als Mutter-Tochter Gespann, außerordentlich intensiv in ihrem Ausdruck.

Als Horrorfilm geht Schlaf nicht dauerhaft wirksam durch Mark und Bein. Noch mehr gestalterischer Exzess hätte der Erzählung in dieser Hinsicht gutgetan und die Spannung gebündelt. Darüber hinaus entwickelt die Geschichte aber mit übernatürlichen Elementen, theatral losgelösten Spielszenen zwischen den Figuren und über die lauernde Wirkung der Musik, einen eigenen, in sich geschlossenen Schrecken, der fesselt. Ein reales Erwachen daraus wird es nicht für jeden geben.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/schlaf-2020