Nirgendwo

Die großen Fragen ohne Antwort

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Junge Menschen sind mit einer Vielzahl von Entscheidungen konfrontiert. Welcher Lebensweg ist der richtige? Und woher soll ich das wissen? Und warum muss ich das überhaupt schon so früh entscheiden? Matthias Startes Kinodebüt Nirgendwo versucht, genau für diese Fragen einen Raum zu schaffen – ein Nirgendwo zwischen Jetzt und Gleich, zwischen Rückzug und Aufbruch.
Als BWL-Student Danny (Ludwig Trepte) vom Tod seines Vaters erfährt, kehrt er zum ersten Mal seit dem Abitur in seine provinzielle Heimatstadt zurück. Er steht kurz vor dem Ende seines Studiums – doch eigentlich hatte er das sowieso nur auf Drängen seines Vaters begonnen. In der Provinz angekommen, wird Danny von alten Freundschaften (Jella Haase, Frederik Götz, u.a.), seiner Ex-Freundin Susu (Saskia Rosendahl) und seiner schwangeren Schwester Kirsten (Amelie Kiefer) vor die schwierige Entscheidung gestellt: Bleiben oder gehen? Die Zwänge des BWL-Studiums oder die Freiheit eines eigenen Weges?

Sehr deutlich macht Nirgendwo schon in dieser Ausgangssituation, was das Filmplakat noch einmal ausbuchstabiert: "Wenn Du nur dieses eine Leben hast – was willst Du tun mit dem Rest Deiner Zeit?" – von einer plakativen Thematisierung zu sprechen, erscheint hier ein naheliegendes Wortspiel. Fast zu naheliegend, denn es fehlt die Pointe: Der Film stellt sein Thema inszenatorisch diesem konsensfähigen Motto entsprechend ebenso schlicht aus. Eine ganze Generation, die hier adressiert wird, kann nur zustimmend nicken: Ja, Entscheidungen zu treffen fällt uns Mittzwanzigern nicht gerade leicht. Aber kann Nirgendwo auch eine Antwort auf seine eigene Frage anbieten?

Durch alle Ebenen des Films überlagern sich Entscheidungskonstellationen. Soll ich meinen Freund heiraten und für immer in diesem Dorf bleiben? Will ich mich schon jetzt für eine Familie entscheiden und ein Kind bekommen? Will ich einen sicheren Beruf oder folge ich meiner Leidenschaft? Provinz oder Stadt? Sicherheit oder Freiheit? Die Fragen, die der Film aufwirft, lassen sich beliebig fortsetzen. Es sind schließlich die allgemeinen und großen Fragen, die wohl jedem Menschen in einem bestimmten Lebensabschnitt nach dem Schulabschluss in der einen oder anderen Form begegnen. Die Kunst ist es, derart abstrakte und unpersönliche Konflikte in eine persönliche und nahbare Geschichte zu verwandeln, die sich ihren Fragen stellt – und nicht nur ihre Fragen stellt.

Nirgendwo gelingt zwar nur stellenweise eine Gratwanderung zwischen Pathos und Kitsch, dann entfalten sich aber tatsächlich berührende Momente. Schließlich sind verliebte Jugendliche oft noch viel kitschiger als es selbst die meisten kitschigen Filme darstellen. Nirgendwo ist sich dessen bewusst und schafft es dadurch, seinen Kitsch ehrlich werden zu lassen. Die wieder aufkeimende Beziehung von Susu und Danny ist gerade deswegen so glaubhaft, weil bei aller Allgemeingültigkeit immer wieder auch Augenblicke aufblitzen, an die man sich als Zuschauer beinahe selbst zu erinnern glaubt, Augenblicke, in denen der Kitsch nicht pathetisch, sondern berührend ist.

Diese Momente, in denen der Film eine Position anzudeuten scheint, werden jedoch viel zu häufig von Bildern überlagert, die in unpersönlicher Werbefilm-Ästhetik dem unpersönlichen Motto des Films folgen. Es ist schade, dass Nirgendwo hier nicht stärker auf seine nur selten sichtbare Fähigkeit vertraut, neben der Diagnose einer Generation dieser auch eine Haltung anzubieten, eine eigene Antwort zu finden. So bleibt der Film über weite Strecken hinter seinem Potenzial zurück und bildet bloß Allgemeinplätze ab, wo er eigene Bilder entwickeln könnte.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nirgendwo