Freud (TV-Serie, 2020)

Das neurotische Verhältnis zum Genre

Eine Filmkritik von Daniel Moersener

Da gerade niemand mehr ins Kino gehen kann, heißt es in diesem Falle zwangsläufig: Freud in Zeiten der Quarantäne. Das passt in doppelter Hinsicht. Der titelgebende Protagonist von Marvin Krens "Freud" muss sich selber mit blockierten Wegen im sozialen, in diesem Falle auch aber filmischen Sinne auseinandersetzen. Oliver Jungen von der FAZ formulierte bereits: „Des einen Freud, des anderen Leid. Die anderen sind wir“, während Jens Müller von der TAZ von einer ziemlich „freudlosen Angelegenheit“ sprach. Abseits der sich anbietenden Wortwitze haben wir es hier aber tatsächlich mit einer Fallstudie zu tun.

Die Psychoanalyse war nach ihrem Begründer Sigmund Freud die dritte in einer Reihe moderner narzisstischer Kränkungen. Auf die kopernikanische Wende und Darwins Evolutionstheorie folgte mit Freud die psychologische Umwälzung, dass der Mensch als bürgerliches Subjekt in seiner funktionalistischen Alltagspraxis mitnichten selbstbestimmter Herr im eigenen Hause ist, sondern auf einer unerforschten, verworrenen Historie der Triebunterdrückung fußt. Wiederholt von Hirnforschern, französischen Philosophen und nicht zuletzt den Nazis verfemt, hatte Freuds Psychoanalyse immer gegen massive Anfeindungen zu kämpfen. Nicht nur weil Freud selber Jude war, sondern weil seine Theorie im Kern auf eine vernunftbasierte Reflexion falschen Bewusstseins in der Moderne hinausläuft, waren es vor allem die Antisemiten und Rückwärtsgewandten, die an der Psychoanalyse Anstoß nahmen. Bis heute ist aber, man denke an Freuds Schriften zum Witz oder zum Unheimlichen, die Psychoanalyse unabdingbares Werkzeug der Filmtheorie geblieben.

Das Kino, zumal der Genrefilm, ist, mit Freud gesprochen, eine Aufwandsersparnis. Lustquellen, die unter den alltäglichen Abläufen unseres Realitätsprinzips verschlossen bleiben, for worse or for better, öffnen sich mit dem Aufschwingen des Kinovorhangs und werden zugänglich und verhandelbar.

Der österreichische Regisseur Marvin Kren scheint das eigentlich zu wissen. Schließlich versucht er unermüdlich, der deutschen Film- und Serienlandschaft eine Variation an Genrebeiträgen zufließen zu lassen, die mehr wollen, als nur die sozialpädagogisch gefärbten Kriminalismen des Tatort. Offenbar wird man aber mit einer solchen Haltung im deutschsprachigen Raum zum Kämpfer gegen Windmühlen.

Nach Blutgletscher, seiner Hommage an John Carpenters The Thing, wurde Kren zum Nachsitzen verdonnert und musste erst einmal sage und schreibe vier Tatortfilme herunterdrehen, bevor er 4 Blocks machen durfte. Die Serie wurde bekanntlich ein Erfolg und der Tenor schien, es sei gerade das Rad erfunden worden. Tatsächlich war die Serie ein marketingtechnisches Perpetuum Mobile, das gleichermaßen durch seine Hochglanzoptik, seine Nähe zur deutschen Musikindustrie und den Bezug zum Berliner In-Bezirk Neukölln eine sichere Bank war.

Dass Dominik Graf im Jahr 2010 mit Im Angesicht des Verbrechens die bessere weil, waghalsigere, dynamischere, grobkörnigere und nicht zuletzt intelligentere Mafiaserie gedreht hat, scheint man mittlerweile vergessen zu haben. Überhaupt herrscht in Deutschland ein beklemmend diametrales Verhältnis von Genrekino und Intellekt vor. Dass das eine ohne das andere nicht existieren kann, entzieht sich offenbar hierzulande dem allgemeinen Verständnis. Ehemalige Ausnahmen wie Roland Klick oder Rudolf Thome, mittlerweile in die innere Emigration gekehrt, bestätigen die Regel.

Diese Problemlage ließe sich nun wohlmeinend als Anstoß für Marvin Krens Freud vermuten. Der titelgebende Protagonist, freilich vor seiner Anerkennung als Aufklärer und revolutionärer Kulturkritiker, hat eine okkulte Mordserie im Wien der 1880er Jahre zu lösen. Nichtsdestotrotz rebelliert er bereits tagsüber fleißig in der Universität gegen medizinische Doktrinen, die seine Psychoanalyse später vom Sockel stoßen wird. Nachts treibt er sich dann berauscht mit seinem zum Buddy stilisierten Geistesbruder Arthur Schnitzler im Wiener Nachtleben herum. Hauptdarsteller Robert Finster macht eine gute Figur als Freud, der die Intoxikation der Indoktrination vorzieht. Georg Friedrich läuft als grantiger Polizeiinspektor zu Höchstform auf. Dann allerdings beginnt es schon problematisch zu werden. Die eingangs erwähnte Aufwandsersparnis subversiver Filmerfahrung kann die Serie nicht einlösen.

Nähme sie Freud im Bezug auf den Genrefilm beim Wort - und offenbar will man das hier, die Episoden tragen zumindest im Titel mehrere freudsche Zentralbegriffe und Hauptwerke - würde sie nicht so zerdehnt daherkommen. Dorthin abzuwandern, wo es gefährlich und sittenwidrig lockt, gelingt der Serie nur zum Auftakt hin. Die restlichen zwei Drittel der Staffel sind weder Suspense noch Somnambulanz, sondern ein Rechtfertigungsaufwand.

Zur Rationalisierung des Ganzen ließe sich ein Gedankenexperiment aufstellen: Womöglich hatten die Schöpfer der Serie den Stoff als Spielfilm konzipiert, als maximal zweistündiges Serienkillerstück mit einem verdrogten Sigmund Freud als Ermittler. Die Finanzierungschancen standen erwartungsgemäß äußerst schlecht. Da man das Sujet trotzdem unbedingt umsetzen wollte, ließ man sich auf den von Netflix und dem ORF geforderten Kompromiss ein, gleich eine ganze Miniserie zu drehen, in der purer Trash und deutsches Geschichtsfernsehen einander gegenseitig die Schuld am Resultat in die Schuhe schieben. Was also aus dem Stoff hätte werden können, hat Hollywood allerdings schon vor zwanzig Jahren demonstriert. Die Hughes Brüder, verantwortlich für Klassiker des New Black Cinema wie Menace II Society oder Dead Presidents brachten 2001 in From Hell einen opiumvernebelten Johnny Depp zur Jagd auf Jack the Ripper in Stellung. Das war nicht nur packendes Genrekino, sondern zugleich politisch relevant. Depps Ermittlerfigur beweist schließlich, dass der Prostituiertenmörder nicht aus der jüdischen Community Londons kommt, wie ein panischer Mob zu wissen meint, sondern aus der herrschenden Klasse. So betrachtet liefert Freud nicht den ersehnten therapeutischen Durchbruch, sondern bloß eine diagnostische Bestandsaufnahme. Das Verhältnis zu wagemutigem Genrekino bleibt in Deutschland neurotisch.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/freud-tv-serie-2020