Die Habenichtse

Geglättete Irritationen

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Eine Frau und ein Mann sitzen auf der Rückenlehne einer Bank, sie schaut ihn versunken an und lächelt. Es folgt eine Titeleinblendung, dann wird scheinbar Farbe auf eine weiße Leinwand aufgetragen, auf der durch die Bewegungen des Pinsels das Gesicht der Frau auftaucht. Dazu erklingt aus dem Off: "Manchmal drücke ich mich tagelang vor meinen Vorhaben, bis ich keinen Grund mehr für eine Verzögerung finde. Diesen Gefühlszustand kenne ich schon sehr lange." Aber sobald sich Isabelle (Julia Jentsch), die Frau von der Bank, auf ein Vorhaben einlasse, treibe sie unbeirrt voran.
Derzeit scheint sie sich jedoch zu drücken, sie klickt in einer Künstlerwohnung am Computer gelangweilt auf dem Design einer Visitenkarte herum und verlässt dann hektisch die Wohnung mit einem lauten "Scheiße!". Nach einem Schnitt ist der Mann von der Bank zu sehen. Jakob (Sebastian Zimmler) trifft in einem Restaurant seinen Kollegen und Studienfreund Hans (Ole Lagerpusch), der ihm erzählt, dass er zu einer Partnerkanzlei nach London gehen wird. Zufällig begegnet Hans einer befreundeten Galeristin, die ihn zu einer Vernissage einlädt – und in dem Katalog zur Veranstaltung entdeckt Jakob Isabelle. Einst hatten sie eine kurze Liebelei während des Studiums, bevor sie ohne ein Wort verschwand. Da Hans überzeugt ist, dass Isabelle die bei weitem interessanteste Frau ist, die Jakob jemals kennengelernt hat, beschließt er, dass Jakob zu der Vernissage gehen müsse – und übernimmt dafür seinen Termin in den USA. Die Vernissage ist am 11. September 2001. Hans wird im World Trade Center ums Leben kommen.

Florian Hoffmeisters Verfilmung von Katharina Hackers mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman Die Habenichtse konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Isabelle und Jakob, die anfangs von dem erfreuten Wiedersehen und Wiederaufleben der Gefühle, aber mit der Nachricht von Hans' Tod von Schuld, Verlustängsten und Sinnsuche gekennzeichnet ist. In nüchternen Schwarzweiß-Bildern werden die wichtigsten Motive des Romans abgehandelt: Isabelle bekommt einen Zeichentisch, es gibt eine Kaffeesatzleserin, den zu langen Abschiedskuss von Isabelles Bekannten Andras (Aljoscha Stadelmann), den Isabelles Freundin Ginka (Bibiana Beglau) liebt, und natürlich die misshandelte Nachbarskatze in dem Londoner Haus. Jedoch tauscht das Drehbuch von Mona Kino zum einen das weitaus abstraktere Verlustgefühl, das Jakob und Isabelle im Roman umtreibt, gegen den konkreten Verlust des besten Freundes, der dazu führt, dass Jakob Hals über Kopf Berlin verlässt, nach London geht und sogar in ein anderes Rechtsgebiet – die Restitution – wechselt. Fortan ist er mit der Betreuung von Fällen beschäftigt, in denen Eigentümer von Immobilien, die im Dritten Reich enteignet oder zum Verkauf gezwungen waren, auf Wiederherstellung klagen.

Das ist natürlich sehr symbolhaft, allerdings wird die Aussagekraft durch die konkrete Einbettung in den Verlust des Freundes auch in ihrer historischen Dimension geschwächt. Das übergeordnete Thema von Verlust und Schuld, das im Roman sehr dezidiert in markante historische Ereignisse eingebettet und mit einem Gefühl der Verunsicherung verbunden wird, wird konkretisiert. Zum anderen verliert Isabelle in der Adaption sämtliche Züge, die irritieren könnten. Sie stürzt sich in die Beziehung mit Jakob mit der Zuversicht, mit der sie Projekte angeht, wenn sie sie einmal begonnen hat. In London begegnet sie dem Nachbarskind Sara (Raffiella Chapman) weitaus früher und freundlicher als im Roman. Sicherlich versucht sie auch hier, die Misshandlungen in der Nachbarswohnung zu überhören, aber sie bleibt nicht teilnahmslos, wenn ihr Saras Vernachlässigung konkret begegnet. Die irritierenden Szenen des Romans, in denen sie Sara zu verdrängen versucht, fehlen ganz. Auch Jim begegnet Isabelle mit ihrem Umzug nach England und zeigt eine gewisse Faszination für seine rohen Besitzansprüche. Sein Wahn, seine Sucht und Kriminalität klingen nur an, vor allem ist er ein Ausweg aus Isabelles Einsamkeit. Denn darauf wird ihr Aufenthalt in London reduziert: Einsamkeit. Sie ist dort eine Ehefrau, die keinen wirklichen Job findet, am Zeichentisch halbherzig ihren Traum eines Kinderbuches verfolgt, tatsächlich aber auf ihren Mann wartet. Das Paar, das ständig ausgeht, dessen sexuelle Vorlieben offen und fließend sind, gibt es im Film nicht. Dadurch wird Die Habenichtse aber zusehends zu einem Beziehungsdrama, in dem der 11. September lediglich der Auslöser einer Krise ist, die allgemeine Verunsicherung und Angst indes zu einem Hintergrundrauschen wird.

Schon im Buch waren die Nebenfiguren interessanter und klüger als die Hauptfiguren – und auch im Film wünscht man sich, mehr von der Galeristin Ginka oder dem melancholischen Andras zu erfahren. Aber immerhin wird Isabelle von Julia Jentsch sehr gut gespielt. Es gelingt ihr, durchaus prätentiöse Sätze und Verhaltensweisen glaubhaft zu vermitteln. Der Zusammenstoß zwischen ihr und Jim wird allein durch ihr Schauspiel zu einer Zeit im Film schmerzhaft, zu der man eigentlich das Interesse an diesen Figuren verloren hat. Zu selbstvergessen sind sie, zu glatt-schön sind die Sätze, die sie sagen, zu steril ist die Atmosphäre dieses Films. Der Dreck, der Schmutz, die Angst der Geschichte des Romans ist hier nicht zu finden. Vielmehr ist Die Habenichtse abermals eine Literaturverfilmung, die weniger eine Interpretation des Romans liefert als vielmehr seine Irritationen glättet, die Desorientierung gegen eine klare Richtung und letztlich auch das interessante Personal gegen die Konventionalität der Hauptfiguren tauscht.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-habenichtse