Blood Quantum (2019)

Post-koloniale Post-Apokalypse

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Die Zombie-Apokalypse ist wieder einmal über der Welt hereingebrochen. Nur ein kleiner Haufen Überlebender hält sich wacker – denn immun gegen das Zombie-Virus sind allein die Angehörigen der kanadischen Mi’kmaq First Nation, die ihr Reservat hinter einer Barrikade gegen die Horden der Untoten verteidigen. Jeff Barnabys „Blood Quantum“ (2019) ist benannt nach den Blood-Quantum-Gesetzen, die den Anteil nordamerikanischer indigener Abstammung prozentual definieren. In der Wendung dieser Zombie-Apokalypse erfährt die Frage nach indigener Zugehörigkeit als einziger Überlebenschance allerdings eine gänzlich andere Wendung. Aber gewinnt der Film damit eine neue Perspektive in der Politik eines Genres, das sich immer schon mit Ausgrenzung und dem gesellschaftlichen Anderen beschäftigt hat?

Zuerst sind es nur ein paar Lachse, die frisch ausgenommen wurden und plötzlich wieder auf dem Tisch herumspringen. Bald schon greift ein gerade erst erschossener Hund den örtlichen Sheriff Traylor (Michael Greyeyes) an, kurz darauf kommt es, wie es kommen muss: Die Welt versinkt im Chaos und sechs Monate später findet sich eine kleine Gruppe Überlebender in einem gut gesicherten Camp, das auch Platz und Sicherheit für einige Dutzend nicht-indigene Überlebende bietet. Schwer lastet die Hoffnung auf Sheriff-Sohn Joseph (Forrest Goodluck) und seiner schwangeren Freundin Charlie (Olivia Scriven), deren gemeinsames Kind vielleicht einen Lichtstrahl in die Finsternis bringt: Wird das Baby ebenfalls immun sein? Gibt es im gemeinsamen Leben auch eine Aussicht auf gemeinsame Immunität? Doch nicht alle im Camp vertrauen darauf, allen voran Charlies Halbbruder Lysol (Kiowa Gordon), der die Dinge lieber selbst in die Hand nehmen will.

Auch wenn die Apokalypse durch ein Zombie-Virus, das sich per Biss oder Blut fortsetzt, keine neue Eingebung darstellt, finden sich doch immer wieder Wendungen, die das Setting anders ausschöpfen. Allein der Beginn von Blood Quantum verdeutlicht, dass der Film sich für seine Ausgangslage tatsächlich interessiert: Mit Ruhe, aber ohne Längen, geht er die Stufen der Virus-Ausbreitung durch. Die plötzlich wieder zuckenden Fische geben in ihren gequälten, aber noch gänzlich ungefährlichen Verrenkungen ein großartig beunruhigendes erstes Bild. Auch der wortkarge Sheriff, der fluchend die zunehmend ungemütliche Situation zu beherrschen versucht, rutscht nie in abgenutzte Klischees, sondern nennt die Dinge, vor der unausweichlichen Aussicht auf einen langen und harten Überlebenskampf, schlicht bei ihrem Namen. Die Gradlinigkeit und geradezu natürliche Konsequenz, mit der schon bald der erste Zombie-Kopf von einer Kettensäge zerteilt wird, – es hilft ja nichts – weisen den Weg für einen Film, der seine Erzählung streng und ohne Umwege auf ihren Kern konzentrieren kann.

Nach dem Zeitsprung setzt diese erzählerische Klarheit sich im Camp der Überlebenden fort. Der Konflikt zweier ungleicher Brüder und die schwer auf einem jungen Paar lastende Hoffnung der ganzen Menschheit entfalten sich in kurzen Sequenzen genau so weit, dass vor ihrem Hintergrund jene Wendung des Films sich ausbreiten kann, die ihn aus dem Genre hervorhebt – oder: ausbreiten könnte. Denn so interessant und vielversprechend es zunächst klingt, wenn nur indigene Menschen gegen ein tödliches Virus immun sind, so schnell scheinen Blood Quantum dazu die Ideen zu fehlen. Nie kommt der Film dazu, über das ursprüngliche Was wäre wenn? hinauszuweisen. Die immunen Camp-Mitglieder müssen zum Überleben gut abwägen, wen sie aufnehmen können. Doch was das für eine geteilte Gruppe bedeutet, in der nun die Ausgeschlossenen zu jenen werden, die ausschließen (müssen?), erkundet der Film nicht.

Auch das Misstrauen gegen die schwangere Charlie und ihr möglicherweise immunes, möglicherweise aber bereits bei der Geburt infiziertes Kind, steuert nur auf das Ausbrechen des Bruder-Konfliktes zu, der das ganze Camp in Gefahr bringt. Lysol ist ebenso persönlich eifersüchtig auf seinen Bruder Joseph, wie er glaubt, das Richtige für die Überlebenden zu tun, wenn er Charlie und ihr Ungeborenes töten will. Beide Motivationen enthalten sich aber eines deutlichen Bezugs darauf, dass es hier immerhin um das Kind einer interkulturellen Beziehung geht. In der allgemeineren Note der familiären Rivalität geht dieses Potenzial, das nah am Herzen eines post-kolonialen Zombie-Films liegen müsste, unter.

Wenn die leidvollen und verlustreichen Kämpfe geschlagen sind und einige eher klassische heroische Tode gestorben wurden, bleibt nur das Schicksal von Charlie, Joseph und ihrem Neugeborenen. Doch zu wenig Interesse hatte der Film zuvor an Charlies Figur und zu wenig Raum blieb unterhalb der brüderlichen Rivalität für die politischen Ambitionen, die sich schließlich nie vollends entfalten können. Auch die Kälte der letzten Bilder, in denen sich Hoffnung und Leid eng verbinden, gelangt so nicht zur Entfaltung ihrer Wucht. Blood Quantum fehlt es schließlich an jener Präzision, mit der einige seiner Bilder gleichzeitig so eindringlich gestaltet sind.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/blood-quantum-2019