Bob, der Streuner (2016)

Letzte Chance: Leben!

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Bob, der Streuner ist eine Verfilmung der Autobiografie von James Bowen, die 2013 unter dem Titel A street cat named Bob erschien, im gleichen Jahr bereits auf Deutsch übersetzt wurde und 27 Wochen lang die Spiegel-Bestseller-Liste anführte. Insgesamt wurde dieser Verkaufsschlager in 26 Sprachen übersetzt und es folgten bislang vier weitere Bücher mit Bob, the cat. Und jetzt kommt diese Erfolgsstory auch noch als Film in unsere Kinos.

Zunächst zum Inhalt: James Bowen, genannt Elvis, tingelt als twenty-something immer noch als wenig erfolgreicher Straßenmusiker durch die Straßen Londons. Abgerockt, heroinsüchtig und obdachlos hat er keine Zukunftsperspektiven, muss in aufgebrochenen fremden Autos übernachten, ernährt sich von dem, was er auf der Straße findet, und kann von den Tageseinnahmen als Straßenmusiker noch nicht einmal im Schnellimbiss etwas zu essen kaufen. Ganz im Gegenteil, er wird auch noch von der Servicekraft gedemütigt, die das Fast Food lieber in den Mülleimer schleudert, als dem hungernden Künstler das Essen zu spendieren. Das tut weh – und wirft kein schönes Bild auf unsere Wohlstandsgesellschaft!

James/Elvis landet mal wieder im Krankenhaus und verspricht seiner Sozialarbeiterin all das, was er offensichtlich schon tausend Mal versprochen hat, was sie aber nicht mehr hören kann. Zu oft hat sie Beteuerungen von Drogis gehört, die nicht eingehalten wurden – jeden Tag hundert Mal. Trotzdem kommt er erneut ins Substitutionsprogramm und obendrauf sogar die Chance auf eine Sozialwohnung. Denn Elvis hat den unschätzbaren Vorteil, dass er Gitarre spielen und singen kann. Ein Alleinstellungsmerkmal im Sumpf der Straße. Dieses hilft ihm dann auch bei seiner Sozialarbeiterin weiter, da er sie durch seine Musik verzaubert hat. Sie besorgt ihm schließlich die Wohnung, mit den mahnenden Worten, dass dies seine letzte Chance sei. Überglücklich bestaunt er fließend heißes Wasser aus der Leitung, Badewanne, Sofa und Couchtisch. Eigentlich stinknormale Dinge, aber für jemanden, der obdachlos ist, für den ist das das Paradies. Aber wird er die Versprechungen gegenüber der Sozialarbeiterin halten?

Dank eines rotgestromten Katers, der sich zu Elvis‘ Wohnung Zutritt verschafft hat, scheint es möglich. Er tauft den herrenlosen kranken Vierbeiner Bob und pflegt ihn gesund. Mit der Genesung Bobs scheint auch James, der nun nicht mehr Elvis genannt wird, zu gesunden. James wird zwar noch einige Abstürze und Tiefen erfahren müssen und der Drogen- und Methadonentzug ist heftig, aber durch Bob – und auch durch das Kennenlernen sowie der zarten Liebschaft zu seiner Nachbarin – hat er eine Vision, wie das Leben auf der anderen Seite aussehen könnte. Das Zweiergespann wird bald zur Attraktion Londons und die Medien und Verlage werden 2010 auf die beiden aufmerksam. Der Rest ist Geschichte.

Die Wahl von Luke Treadaway als Hauptdarsteller, dessen Zwillingsbruder Harry Treadaway ebenfalls als Schauspieler arbeitet, ist ein ausgesprochener Glücksgriff! Im echten Leben ein wahrer Schönling, sieht er im Film tatsächlich wie ein drogensüchtiger Obdachloser aus und erinnert vielfach an Kurt Cobain, den ehemaligen Leadsänger von der Indie-Band Nirvana. Die Verzweiflung beim Entzug, die Sorgen um den liebgewonnenen Kater, die Konflikte mit seinem Vater, alles wird schauspielerisch auf einem hohen Niveau dargestellt und man merkt dem Briten an, dass er neben seiner Arbeit beim Film auch jahrelang auf der Bühne gestanden hat. Solides Handwerk, erworben an der London Academy of Music and Dramatic Art, an der auch Donald Sutherland seine Ausbildung absolviert hat.

Regisseur Roger Spottiswoode, der bereits in Die Kinder der Seidenstraße sein Faible für gutaussehende männliche Hauptdarsteller (Jonathan Rhys Meyers) und in Scott & Huutsch die Affinität zu Tier-Mensch-Beziehungen bewiesen hat, liefert einen glaubwürdigen und durchaus sozialkritischen Film ab. Gerade die Tier-Mensch-Beziehung ist in Bob, der Streuner wirklich sehr schön und glaubwürdig umgesetzt. Nichts wirkt überzogen, das Tier wird nicht vermenschlicht, wie es in manch anderem Film zu sehen ist, sondern – und gerade das macht den Film wirklich sehr sympathisch – es wird auch aus Katzenperspektive gedreht. Sei es, dass die Kamera durch einen Trichter blickt (weil Bob nach einer OP einen Plastikkragen tragen muss), von einem Schal verdeckt wird (weil Bob sich ängstlich an James Brust presst) oder dass Bob Jagd auf eine Maus macht und in Großeinstellung seine Pfote im Mauseloch zu sehen ist.

Die Musik des Films wurde von Charlie Fink, ehemaliger Frontmann und Songwriter für Noah und the Whale, geschrieben und gesungen. Wer ein Faible für handgemachte Musik hat, wird mit Sicherheit auch den Soundtrack von Bob, der Streuner lieben. Hier gilt wie für das Schauspiel von Luke Treadaway: solides Handwerk! Und was den zweiten Hauptdarsteller des Filmes betrifft, so sollen zwar andere Kater gecastet worden sein, aber die Entscheidung fiel dann doch auf den wahren Bob. So spielt er sich selbst und beweist, dass er ein wahres Naturtalent ist.

Der Film richtet sich nicht explizit an Katzenliebhaber, sondern die lebensbejahende Geschichte an sich zählt. Bereits 2009 gab es einen ähnlichen Film, Hachiko – Eine wunderbare Freundschaft mit Richard Gere, der ebenfalls um die wahre Beziehung zwischen Mensch und Tier ging (der aber vor lauter Schmalz kaum zu ertragen war). Damals war es ein Hund, dieses Mal ist es eine Katze. Was lässt sich daraus folgern? Dass die Liebe zwischen Mensch und Tier tiefer und reiner als die zwischen Mensch und Mensch ist? Vielleicht sollte man nicht gleich so tief in die Interpretationskiste greifen. Die eigentliche Aussage des Films ist, dass man nicht aufgeben sollte, egal wie tief man fällt. Und dass ein lebendes Wesen (sei es nun Hund, Katze oder Mensch) das eigene Leben durchaus positiv beeinflussen und Kraft geben kann, wenn man im Inneren keine Kraft mehr findet.

Kritisch anzumerken ist allerdings, dass sich Zeitungen und Verlage mit dem vordergründigen Antrieb auf diese Geschichte gestürzt haben, sie zu vermarkten. Nun gut, Bob und James hat es geholfen. Sehr sogar (und James gibt vieles von dem symbolisch zurück, indem er sich für Obdachlose und für andere soziale Anliegen einsetzt) – aber was ist mit denen, die ebenso Hilfe benötigen und keinen Bob auf ihrer Schulter haben? Die gehen unter. Trotz des sozialen Netzes.
 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bob-der-streuner-2016