Patrick (2019, II)

Goodbye Stranger

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Gonçalo Waddingtons Langfilmdebüt „Patrick" irritiert bereits in den ersten Minuten: Zu beißenden Celloklängen (Musik: Bruno Pernadas) wandert die suchende Kamera zuerst von den Zehenspitzen bis zu den schulterlangen braunen Haaren des titelgebenden Protagonisten (Hugo Fernandez), der sich gerade in einem Kosmetikstudio sämtliche Haare epilieren lässt. Parallel hört der junge Mann Minimal-Techno via Kopfhörer, ehe der erste von vielen abrupten Schnitten erfolgt. Derselbe Patrick tanzt jetzt ausgelassen im weiß-blauen Stroboskopgewitter eines Brüsseler Techno-Clubs und scheint partiell alles um ihn herum bewusst auszublenden zu wollen. Dann flirtet er eher unbeholfen mit einer Reihe junger Frauen, ehe er im nächsten Moment rüde wie ein streunender Hund herumstänkert.

Der nächste Szenenwechsel: Der 20-jähriger Drifter wacht am Morgen darauf im sündhaft teuren Apartment des Fotografen Thomas auf, in dem er derzeit wohnt und mit dem er offensichtlich in einer Beziehung ist, obwohl Patrick später behaupten wird, dass er gar nicht dessen Partner sei. Nach einer illegalen Hausparty wird Patrick schließlich wegen Drogenbesitzes in Gewahrsam genommen und landet auf einer Brüsseler Polizeiwache: „Name?“ – „Patrick Laurent.“ – „Wie alt bist du?“ – „Zwanzig.“ „Was machst du?“ – „Was meinen Sie?“ – „Arbeitest oder studierst du?“ – „Ich lebe hier.“ Kurz darauf wird Patricks Laptop durchsucht: Er steckt voller Gewaltvideos mit jungen Frauen und kinderpornografischen Materials. Wer ist hier der Täter?  Und wer sind seine Opfer?

So nüchtern wie enigmatisch beginnen die ersten und beileibe besten Sequenzen dieses ausgesprochen störrischen Films, der 2019 unter anderem in San Sebastian zu sehen war. Denn in dieser bizarren Mixtur aus Coming-of-Age-Film, Mutter-Sohn-Drama und Diskursfilm über Pädophilie und Kindesmissbrauch liegt eine durchgängig befremdliche Aggression in der Luft, bis das Erzähltempo im zweiten Teil des Films überraschenderweise radikal reduziert wird.

Nun folgt ein Rätsel auf das andere: Eine scheinbar sinnlose Sinnsuche des ungestümen Protagonisten Patrick alias Mario beginnt und endet prinzipiell im Nirgendwo zwischen Belgien und Portugal, Kindheit und Gegenwart, was sich wiederum narrativ konsequent bis zum Ende jenes obskuren Plots niederschlägt. Dazwischen folgen auf formal-ästhetischer Ebene (Bildgestaltung: Vasco Viana) durchaus einige gelungene visuelle Störfeuer. Nur einen Film ergibt das Ganze leider nirgends, weil selbst beim aufmerksamsten Betrachter in der Summer allzu viele Fragezeichen zurückbleiben.

Dieses seltsame, jederzeit fordernde wie nervende Grundgefühl von Hektik gepaart mit Ziellosigkeit bestimmt in toto das Geschehen dieser sperrigen 100 Minuten, die erzählerische Kohärenz vermissen lassen und auf diese Weise über eine fiktionale Fingerübung nie wirklich hinausreichen. Der 1977 in Lissabon geborene Regisseur, der als Schauspieler beispielsweise im zweiten Teil (Der Verzweifelte) von Miguel Gomes’ bemerkenswerter 1001 Nacht-Trilogie (2015) zu sehen war, beweist als ambitionierter Indie-Regisseur mit Patrick Mut zur Lücke, doch in Zukunft wäre er vor der Kamera sicherlich wieder besser aufgehoben.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/patrick-2019-ii