Nur die Füße tun mir leid (2019)

Reiseführer zum inneren Glück

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Der Jakobsweg zieht jedes Jahr hunderttausende Pilger*innen an, die auf der Strecke durch Frankreich und Spanien nach Santiago de Compostela vor allem auf der Suche nach sich selbst sind. Auch Gabi Röhrl geht diesen Weg und verbindet in ihrem Reise-Dokumentarfilm "Nur die Füße tun mir Leid" die enormen Strapazen der langen Wanderung mit den Momenten geteilter Freude und geteilter Schmerzen, die sich zwischen den verschiedensten Menschen auf dem Camino ergeben. Es entsteht ein persönlicher Film, in dessen Mittelpunkt doch immer der Weg steht und die kaum beschreibbare Wirkung, die er auf seine Pilger*innen ausübt.

Meist ist nur der staubige, steinige Pfad zu sehen, der sich über die atemberaubenden Panoramen der Pyrenäen windet, entlang malerischer Märchenlandschaften in Galizien oder durch die zahlreichen kleinen Dörfer und wunderschönen Altstädte, zwischen denen sich die Etappen des Camino Francés aufspannen. Die Kamera selbst scheint mit Regisseurin Gabi Röhrl Schritt für Schritt den Weg zu erklimmen, im Fokus immer die Füße, die zum zentralen Motiv der Selbstfindung werden: Jeder Schritt wird zur Übung in Achtsamkeit, jede unweigerliche Blase mahnt zur Ruhe, zum Suchen der eigenen Rhythmen. Körperlicher Schmerz wird zur Randerscheinung, vor deren Hintergrund mentale Stärke und innerer Frieden erst möglich werden.

Zahlreiche Gespräche mit anderen Menschen auf dem Weg zur Kathedrale von Santiago de Compostela belegen die Vielfalt der Erfahrungen, die auf dem Camino gemacht werden, und doch berichtet jede*r von der Wahrheit, die dabei zwar gefunden, aber nicht gesucht werden kann. Der Weg weiß am besten, was er seinen Pilger*innen geben muss. Am Ende sind sie alle reicher, durch Schmerz, Kälte, Wind und Hitze hindurch gelangen sie vor allem zu einem ungeahnten inneren Frieden. Ein Ehepaar aus den Niederlanden berichtet von den Emotionen, die sie nun plötzlich zulassen können; eine Kanadierin erzählt von der gestärkten Beziehung zu ihrem Sohn; eine Frau befreit sich auf dem Weg von der Last ihrer Krebserkrankung; andere junge Menschen suchen eine körperliche Herausforderung oder brauchen Zeit, um über ihre Zukunft nachzudenken.

Einzig von Gabi Röhrl erzählt Nur die Füße tun mir Leid dabei sehr wenig. Zwar begleitet ihre Stimme im Off-Kommentar durchweg die Erzählungen des Weges, erwähnt historische Hintergründe, beschreibt die erhabene Schönheit der Landschaft oder gibt Restaurant-Empfehlungen für die jeweilige Etappe – doch ihre eigene innere Bewegung über den Weg, ihre eigenen Strapazen und Glücksmomente bleiben ausgespart. Zu sehr spielt der Camino selbst die Hauptrolle, viel Raum gibt der Film für Landschaftsbilder und Eindrücke der Bräuche spanischer Kleinstädte. Dabei fehlt jedoch stellenweise der persönliche Ton, der durch den Kommentar der Regisseurin zwar jederzeit über den Bildern liegt, aber nicht mit eindrücklichen Geschichten aufzuwarten vermag, die über die kleinen Seitenblicke auf andere Pilger*innen hinausgehen.

So ist Nur die Füße tun mir Leid vor allem ein wunderschön gefilmtes Porträt der außergewöhnlichen Möglichkeiten, die der Jakobsweg all jenen zu bieten hat, die sich seiner Herausforderung stellen. Der Film teilt als Reiseführer mit kurzen Anekdoten versetzt die Leidenschaft für eine ganz besondere Erfahrung und möchte andere dazu ermutigen, ebenfalls den ersten Schritt zu wagen. Doch das, was ihn von allen anderen Reiseberichten hätte abheben können, läge in der ganz eigenen, persönlichen Erfahrung von Gabi Röhrl. So bieten die überwältigende Schönheit der Landschaft und die Erzählungen anderer Pilger*innen zwar ein spannendes Bild des Weges, doch dieses allein vermag nie ganz zu fesseln.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/nur-die-fuesse-tun-mir-leid-2019