Pause (2018)

Mein blühendes Versäumnis

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wer hat nicht schon einmal von einem Neuanfang geträumt? Den meisten fehlt dafür der Mut. Manchmal mangelt es an einem Quäntchen Egoismus, an der Verantwortungslosigkeit den Verpflichtungen der Familie gegenüber. In extremen Fällen bedürfte es gar krimineller Energie. Tonia Mishialis Protagonistin fehlt es an alledem. Dafür hat sie trotz oder gerade wegen ihrer ausweglosen Situation eine blühende Fantasie, die zuversichtlich stimmt.

Elpida (Stella Fyrogeni) sitzt beim Gynäkologen, und Tonia Mishiali legt ihre Hauptfigur in diesen ersten Momenten wie beim Psychologen auf die Couch. Stumm nimmt Elpida all die möglichen Folgen der Menopause zur Kenntnis, die der Herr Doktor (Marios Ioannou) nüchtern runterrattert. Auch danach kein Wort. Ihre häuslichen Pflichten verrichtet sie teilnahmslos. Erst nach neun Minuten spricht sie ihren ersten Satz. „Ist normal“, entgegnet sie ihrem Mann Costas (Andreas Vasileiou) auf die Frage, wie hoch sein Blutdruck sei. Doch an dieser Beziehung ist nichts normal.

Elpida und Costas leben nicht miteinander, sondern nebeneinander her. Getrennte Betten, getrennte Fernseher, eine Ehe in Tristesse. Finanziell komplett von Costas' Wohlwollen abhängig, tanzt Elpida wie auf Eierschalen um ihn herum. Internet, um mit der Tochter und der Enkelin zu kommunizieren, gönnt Costas seiner Frau keins, dafür immerhin einen kleinen Wagen, mit dem sie die Einkäufe erledigen und zu ihrem Malkurs kommen kann. Als er ihr auch noch den fahrbaren Untersatz wegnimmt, lebt Elpida endgültig in einem Käfig. Wie Costas' Vogel, mit dem großen Unterschied, dass er seinem Haustier mehr Zuneigung entgegenbringt als seiner Frau.

In ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm knöpft sich Tonia Mishiali das Patriarchat vor und nimmt es ganz gemächlich auseinander. Sie schaut genau hin und setzt subtile Spitzen. Wenn Elpidas Nachbarin Eleftheria (Popi Avraam) davon spricht, dass sie sich jedes Mal freue, wenn sie von sterbenden Männern höre, oder wenn Elpida, nun zu Fuß unterwegs, beim Einkaufen anderen Frauen begegnet, die gleichsam verloren vor sich hintrotten, dann beschleicht uns das Gefühl, dass eine Beziehung wie die hier gezeigte vielleicht doch normaler ist, als wir glauben.

Trotz all der Tristesse ist dieses Drama kein trauriger Film. Elpida stiehlt sich in Tagträumen davon und bringt uns zum Schmunzeln. Dann knutscht sie wild mit dem jüngeren Nachbarn im Treppenhaus, schneidet Costas das Fernsehkabel durch oder wirft ihm einen Teller Essen ins Gesicht. In ihrem Kurs malt Elpida am liebsten Stillleben von Blumen, in ihrem stillen Leben blüht ihre Fantasie. Als ein anderer Maler, ein namenloser Anstreicher (Andrey Pilipenko), der von Wohnung zu Wohnung geht, unvermittelt in ihren Alltag tritt, blüht auch Elpida auf.

Wie auf einer Farbpalette vermischen sich nach und nach die Ebenen. Sind Elpidas kleine Fluchten echt, eingebildet oder Symptom der Wechseljahre? Und wie auf einer Palette mischt Kameramann Yorgos Rahmatoulin den gedämpften, wie mit einem Grauschleier versehenen Pastelltönen nach und nach kräftigere Farben unter, je entschlossener Elpida handelt. Von Stella Fyrogeni zurückhaltend, innerlich brodelnd und packend gespielt, verkörpert Elpida am Ende, was ihr Name bedeutet: Hoffnung.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/pause-2018