Romys Salon (2019)

Manchmal ist der Kopf ganz leer

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Natürlich lohnt sich die neue elektronische Kasse, sie wolle ja schließlich noch viele Jahre arbeiten. „Ich bin erst 69!“, so Romys Großmutter Stine (Beppie Melissen), eine eher resolute Frau, vielbeschäftigt mit ihrem kleinen Friseursalon, den sie allein betreibt, vielleicht ein wenig einsam, seit ihr Mann nicht mehr lebt.

Wegen ihm ist sie vor vielen Jahren in die Niederlande gekommen – in ihrer Wohnung hängt ein Bild, das er gemalt hat, vor vielen Jahren. In der Nähe von diesem dänischen Strand habe sie gewohnt, erzählt sie ihrer Enkelin, als er dort Urlaub machte. Am Strand habe sie immer gebadet, nackt, weil sich das Wasser so schön anfühlt auf der Haut. Romy (Vita Heijmen) verzieht nur leicht angeekelt die Mundwinkel – nackt baden?

Weder Oma noch Enkelin sind besonders begeistert, dass Romy nach der Schule bei Stine bleiben soll, weil Romys Mutter Margot (Noortje Herlaar) eine neue Stelle gefunden hat und endlich etwas mehr arbeiten kann. Zu ihrem Vater Willem (Guido Pollemans) kann sie nicht, denn dessen Haus gehört seiner neuen Freundin, und mit der will Romy nichts zu tun haben.

Die Zehnjährige arrangiert sich damit ebenso wie die Seniorin mit Vermeidungsstrategien: Romy spielt noch Fußball oder putzt Fernfahrern die Windschutzscheiben, sie sucht nach Tricks und Auswegen, um erst möglichst spät im Friseursalon erscheinen zu müssen. Und Stine ist froh, dass die Enkelin sich gleich nach oben in die kleine Wohnung verdrückt und dort Hausaufgaben macht, Zeitschriften liest und jedenfalls nicht stört. Dann fällt Romy aber auf, dass ihre Großmutter anfängt, sich zu verrechnen und Dinge zu vergessen – und Stine freut sich über das aufmerksame Kind, das ihr immer mehr eine große Hilfe wird.

Tamara Bos lässt in ihrem Drehbuch (nach ihrem eigenen Roman) die Anzeichen für Stines Alzheimer-Erkrankung ganz langsam in die Handlung eindringen, bis dann zunächst ein Besuch im Krankenhaus für Klarheit sorgt und ein Brand im Salon einen Umzug in ein Pflegeheim erzwingt. Mischa Kamps Inszenierung verzichtet dabei auf große Gefühligkeiten und Schmalz. Sie zeigt die Ratlosigkeit von Margot, die Verwirrung von Stine und Romy. In der Plötzlichkeit der Ereignisse, die der Film ganz aus den Augen von Romy zeigt, lässt sich erahnen, wie wenig ihre Großmutter versteht, verstehen kann, was vor sich geht.

Das ist nicht zuletzt den Darsteller_innen zu verdanken. Melissen und Heijmen nimmt man die schwierige, sich entwickelnde Beziehung jederzeit ab, und Herlaar gibt ihre Margot ohne jeden Pathos und jede Übertreibung als sich sorgende, alleinerziehende, berufstätige Mutter, die ihrer Mutter helfen möchte und gleichzeitig sichtbar – aber eben nur angedeutet – jahrzehntealte, nicht ausgetragene Konflikte mit ihrer Mutter herumträgt.

Der kindliche Blickwinkel sorgt dafür, dass Romys Salon solche Themen nur am Rande andeutet – und zugleich ohne jede Sentimentalität den Fokus darauflegt, welche emotionale Last eine Alzheimer-Erkrankung für Angehörige und Erkrankte sein kann. Insofern ist Kamps Film einer der bestmöglichen Kinderfilme, nämlich einer, der eigentlich keiner ist. Seine kindliche und kindertaugliche Perspektive macht allerdings den Blick klarer und der Erkrankung womöglich angemessener, weil er stärker auf das Hier und Jetzt konzentriert ist.

Weil Stine so viel über ihre alte Heimat Dänemark spricht, entschließt sich Romy kurzerhand, mit ihrer Oma dorthin zu fahren – natürlich ohne ihren Eltern Bescheid zu geben, die das nie gutheißen würden. Mit ein wenig erspartem Geld machen sich die zwei auf den Weg.

Die Ähnlichkeit der Handlung sorgt natürlich zwangsläufig für Vergleiche mit Til Schweigers hierzulande sehr erfolgreichem Film Honig im Kopf (dessen von ihm selbst inszeniertes amerikanisches Remake sensationell gefloppt ist), aber damit tut man Romys Salon mehr als Unrecht. Während Schweigers Film vor allem darauf abzielt, möglichst große emotionale Reaktionen zu erzeugen, und seine Welt im Übrigen in „neo-spießige Hochglanzoptik“ taucht, wie Joachim Kurz das treffend beschrieben hat, zeigt Kamp eine realistische Welt, in der die Menschen einfach leben und arbeiten, müde und erschöpft, aber doch einander zugetan sind.

Die Beziehung zwischen Margot und Willem etwa ist in Romys Salon keine dramatische Trennungsgeschichte. Es wird gelegentlich angedeutet, dass die Scheidung nicht besonders angenehm war (welche wäre das schon?), die beiden reden nicht wirklich miteinander, und vor allem Romy ist nicht glücklich über die Konstellation. „Hattest Du Spaß?“, fragt Margot ihre Tochter einmal nach einem Nachmittag mit Willem. „Nein.“

Aber als Romy und Stine plötzlich verschwunden sind, sind die beiden selbstverständlich gemeinsam unterwegs, um ihre Tochter zu suchen – aber genauso selbstverständlich ändert das nichts Grundlegendes an ihrem Verhältnis zueinander. Alzheimer ist hier kein Vehikel, das eine Beziehung kittet.

Stattdessen ist Romys Salon ein Film, der lustig ist und traurig, ernst und albern, realistisch und ein wenig phantastisch. Eine präziser Blick auf eine kleine, liebende Familie in unserer Gegenwart.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/romys-salon-2019