The Witcher (TV-Serie, 2019)

Weltenvergehen

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Langersehnt und heißdiskutiert startet bei Netflix die Serienadaption der „Witcher“-Erzählungen des polnischen Autors Andrzej Sapkowski. Vielen Fans bekannt und ans Herz gewachsen durch die gleichnamige Videospielreihe (2007-2015), muss die Serie nun den hohen Erwartungen gerecht werden. Dabei entscheidet sich Serienschöpferin Lauren Schmidt Hissrich für einen Weg, der deutlich näher an den literarischen Vorlagen verläuft. Ob damit auch jene Fans abgeholt werden, die das Universum um Geralt von Rivia vor allem aus den Videospielen kennen? Und was ist mit dem „Game of Thrones“-Erbe, das an jeder Biegung in der Serie zu lauern scheint? Es gibt viele Fallstricke für den Erfolg von „The Witcher“ – ein Glück, dass die Serie selbst dabei so viel Potenzial beweist.

Eine dunkle Zeit: Das Königreich Cintra fällt unter den einmarschierenden Truppen aus Nilfgaard, die junge Prinzessin Ciri (Freya Allan) kann im letzten Moment entkommen und erhält von ihrer sterbenden Großmutter, Königin Calanthe (Jodhi May), nur einen Auftrag: Finde Geralt von Rivia. – Eine andere Zeit, ein anderer Ort: Ebenjener Geralt (Henry Cavill), einer der letzten Witcher, ein künstlich mutierter Mensch mit besonderen Fähigkeiten im Kampf gegen allerlei monströses Gewürm und Gezücht, erfährt auf der Suche nach Aufträgen, dass ein junges und einsames Mädchen sein Schicksal sein wird. – Eine andere Zeit, ein anderer Ort: Yennefer (Anya Chalotra) wächst in einem Schweinestall in Vengerberg auf. Sie hat einen Buckel und einen verschobenen Kiefer und wird von ihren Eltern nicht besser behandelt als die Schweine, mit denen sie lebt – bis sie ihre magische Begabung entdeckt und von der Zauberin Tissaia de Vries (MyAnna Buring) zur Ausbildung an eine ferne und geheimnisvolle Akademie mitgenommen wird.

Schon in einer so groben Übersicht der drei großen Stränge der ersten Staffel wird deutlich, dass die Perspektive der Serie ihrem titelgebenden Helden keineswegs alleine die Erzählung überlässt. Zwar ist jede Episode davon bestimmt, dass Geralt mehr oder weniger freiwillig darin verwickelt wird, ein Monster aufzuspüren und zu erlegen, diese Monster-of-the-Week-Struktur wird aber durch die wechselnden Perspektiven von einer größeren, gemeinsamen Erzählung durchströmt. Ciri ist auf der Suche nach Geralt, dieser wiederum weiß zunächst nur, dass er ein junges Mädchen aufspüren muss, während etwa Yennefer bald schon auf Protagonist*innen der anderen Erzählstränge trifft, als diese noch Kinder waren, oder Geralt vom Untergang Cintras nichts ahnt.

Die einander umspülenden Zeitebenen der drei Erzählstränge werden dabei so gekonnt in eine Beziehung zueinander gesetzt, dass nie eindeutig zu erkennen ist, wer sich gerade an welchem Zeitpunkt einer übergreifenden Chronologie befindet und wann diese verschiedenen Ebenen zusammenfinden werden. Gleichzeitig erlaubt dies bereits in den ersten Episoden geradezu nostalgische Stiche, wenn Yennefer auf Figuren trifft, deren Ende wir mit Geralt Jahre später bereits erlebt haben, oder es weckt gebanntes Erwarten, wenn wir die Zukunft bereits erahnen konnten, der die Held*innen erst noch entgegenblicken.

Vor allem Geralts Begleiter, der mittelmäßig begabte Barde Jaskier, hervorragend gespielt von Joey Batey, tänzelt über diese Konstruktion der Serie hinweg, wenn er sich etwa fragt, wie lange Geralt und er sich seit dem letzten Abenteuer schon nicht mehr gesehen haben – Jahre? Monate? Jahrzehnte? – und zum Schluss kommt, dass Zeit eben irgendwie unergründlich bleibt. Diese Leichtigkeit, mit der die Serie ihre eigene episodische Struktur an die größeren, sich entwickelnden Bekanntschaften knüpft, zumal die Zauberinnen und Witcher mit besonders langem und zeitlosem Leben gesegnet sind, fügt sich hervorragend in den beständigen Unterton einer gewissen Selbstironie, insbesondere getragen vom augenzwinkernden Kommentar des Barden. Joey Batey ist es dabei auch zu verdanken, dass das Auftreten einer furchtbaren Ohrwurm-Hymne, eine Art mittelalterliche Power-Ballade, spätestens beim dritten Hören doch seltsame Begeisterung weckt (und jetzt alle: Toss a coin to your witcher!).

Auf der anderen Seite ist es genau diese Leichtigkeit der unverbindlichen Einzelabenteuer, die den durchgehenden Erzählungen von Ciri und Yennefer Probleme bereitet, zumindest bis sie Geralts Weg kreuzen und die Erzählebenen sich verbinden: Insbesondere Anya Chalotra zeigt als junge Yennefer, als Außenseiterin in der Akademie und Verstoßene, die nie Liebe oder Anerkennung erfahren hat und voller Verbitterung endlich gewürdigt werden möchte, eine herausragende Leistung. Mit einigen Zeitsprüngen, die Jahrzehnte umfassen, ist diese junge, aufbegehrende, sich an ihren Ansprüchen verzehrende Zauberin jedoch zu einer abgeklärten Hofmagierin geworden, die eher unvermittelt beschließt: Sie möchte ein Kind, ist dies doch das einzige, was ihr im Gegenzug für ewige Schönheit und Jugend nach dem Ende der Ausbildung für immer verwehrt bleiben wird. Die charakterliche Entwicklung kommt damit beinahe zum Erliegen und Anya Chalotra muss gegen eine zunehmend eindimensionale Figur anspielen, deren Motivationen sich über die Sprünge hinweg nie organisch erschließen.

Einer weiteren weiblichen Figur, der großartig von Jodhi May gespielten Königin Calanthe, geht es dabei ähnlich: Jahre vor dem Untergang von Cintra, mit dem die Serie beginnt, trifft Geralt sie am Hof und gerät dort in ein hervorragend geschriebenes Gespräch über die Last einer patriarchalen Monarchie, der selbst die amtierende Königin nicht entkommen kann. Obwohl sie eine ebenso begnadete Kämpferin wie Diplomatin ist und ihr Königreich blüht, kann sie nicht umhin, ihre Tochter dem meistbietenden Bewerber zur Frau zu geben. Was für eine Scheiße. Doch auch hier überdauert die interessante und erfrischende Figurenzeichnung der Königin die folgenden Zeitsprünge nicht und Calanthe wird auf eine Dimension ihrer Figur reduziert, die leider nicht die interessanteste ist.

Die großartigen weiblichen Figuren sind dem meist ziemlich charismafreien Henry Cavill, der sich ausdruckslos mit vertiefter Stimme durch die Abenteuer grummelt, um Längen an Präsenz und Energie überlegen. Doch der völligen Entfaltung ihres Potenzials liegt das HBO-Gesetz Nr. 1 im Weg, an dessen Erfolgsversprechen – Viel Boobies und viel Blut, machen Deine Serie gut – sich auch The Witcher orientiert. Dass die Fußstapfen von Game of Thrones gut zu sehen sind und jeder sich schon lange vor dem Start von The Witcher eine Meinung dazu gebildet hat, ob sie denn mithalten wird oder nicht, hindert die eigene Entfaltung der Serie merklich. Gelingt es zwar ab der fünften Episode, der besten der ersten Staffel, sich vom vorsichtigen Entlangtasten an den Erwartungen von Videospiel-Fans auf der einen und Game of Thrones-Nachschub auf der anderen Seite zu entfernen, so bleiben irritierend viele nackte Frauenbrüste an irritierend vielen Stellen erhalten, die das eigentlich nicht bräuchten. Oder genauer: Die mehr zu erzählen und dann vielleicht sogar mehr Nacktheit an anderer Stelle sinnvoll ergeben hätten. Die obligatorischen Sexszenen etwa sind im Gegenzug nämlich regelrecht züchtig. In einer Welt, die von der Körperlichkeit von Narben, Schlamm, Blut und Magie erfüllt ist, passt das nicht ganz ins Bild.

Dass The Witcher mit den letzten Episoden der ersten Staffel doch noch zu einer eigenen Stimme findet, liegt vor allem an der Gestaltung ebenjener Welt: So sprunghaft die Erzählung sie erkunden mag, so kohärent und stimmig ist der Eindruck, den sie schließlich erzeugt. Es scheint abseits der Pfade durch dichte Wälder oder ungastliche Steppen nur Monströses und Schreckliches zu geben, das allein von den menschlichen Monstern übertroffen wird, die in erbärmlichen Dörfern ein erbärmliches Dasein fristen. Geralt, als überall mindestens misstrauisch beäugter Witcher, gehört ebenso zu den Monstern einer monströsen Gesellschaft wie die Zauberin Yennefer oder die verfluchten und verratenen Wesen, die es zu töten gilt, oder von denen getötet zu werden den einzigen Ausweg darstellt. Die Adligen sind noch verkommener als ihre Untertanen, einzig das Böse in Form des Nilfgaardischen Eroberungswillens scheint noch so etwas wie Prinzipien zu kennen – doch liegen diese wiederum gerade in der radikalen Vernichtung aller Prinzipien und moralischen Linien, in der kalten Entwertung jeden Lebens zugunsten von Macht und Einfluss.

Es wird sich zeigen müssen, ob eine zweite Staffel der Serie weiter an der eigenen Stimme dieser Welt arbeitet, um die nun lediglich in Aussicht gestellte Tiefe zu erkunden. Der Glanz von The Witcher liegt in der Leichtigkeit, mit der die Serie es schafft, gerade das Finsterste zu erzählen. Wenn nun den Figuren mehr Raum gegeben wird, ihre eigenen Geschichten zu weben, wenn das Bemühen darum, eine bestimmte Serien-Ästhetik der letzten Jahre zu übertragen, einer stärkeren eigenen Vision weicht, und wenn der herausragende Cast zwischen den dicht getakteten Zeitsprüngen mehr Luft zur Entfaltung erhält, dann kann aus dieser ersten Staffel eine der großen Fantasy-Serien der nächsten Jahre erwachsen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/the-witcher-tv-serie-2019