Top Gun: Maverick (2022)

Zurück in der Zukunft

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Es beginnt wie damals, im Jahre 1986. Auf einem Militärflugplatz finden Übungen statt, Kenny Loggins besingt den Highway to the Danger Zone – und uniformierte Personen machen genau das, was von ihnen in diesem Setting und in Begleitung eines solchen Synthesizer-Soundtracks aus dem Hause Giorgio Moroder zu erwarten ist: Sie geben einander High Fives, sie richten ihre Daumen euphorisch nach oben. Yeah, alles ist cool.

Und dann: Auftritt Tom Cruise, alias Captain Pete Mitchell, alias Maverick. Er lebt in der Mojave-Wüste in Kalifornien. Wie ein Superheld wirft er sich in seine Lederjacke, zieht seine Sonnenbrille auf, enthüllt dramatisch sein Motorrad und braust im Licht der Sonne davon, unterlegt mit gravitätischen Klängen, die wir schon vom Score aus Tony Scotts Original Top Gun kennen. Die weitere (Wieder-)Einführung der Figur in Top Gun: Maverick nimmt sich wie ein Remake der damaligen Exposition aus. Pete sitzt im Flieger und missachtet die Befehle seines bornierten Vorgesetzten (Ed Harris). Denn er ist ein Rebell, ein Regelbrecher, ein Mann ohne Grenzen. „He’s the fastet man alive“, heißt es voller Bewunderung. Donnerwetter!

Natürlich braucht es da erst einmal heftigen Gegenwind. „The future is coming – and you’re not in it“, bellt ihn der grimmige Konteradmiral an. Ein pomadiger Jung-Pilot nennt Pete wenig später einen „Oldtimer“. Und das ist doch ein ziemlich interessanter Konflikt, ein schöner Widerspruch: Pete ist der Schnellste, droht aber von der Zeit abgehängt zu werden. Es stürmt und drängt immer noch mächtig in ihm, aber ach, welch große Pein, er wird alt … Nun muss er, als Strafe für sein trotzköpfiges Verhalten, zum Lehrer werden – dort, wo er in Teil 1 selbst ausgebildet wurde, von einer gewissen Charlotte Blackwood, gespielt von Kelly McGillis.

Die ist in der späten Fortsetzung nicht mehr dabei. Stattdessen gibt es für Pete mit der Barbesitzerin Penny (Jennifer Connelly) ein neues Love Interest, das (ganz sicher rein zufällig, zwinker!) deutlich jünger ist als Charlotte und auch als Pete. War die Liebesgeschichte in Top Gun noch ein integraler Bestandteil der Handlung, wirkt sie hier wie ein pflichtschuldiger Einschub, damit die Heterosexualität des Protagonisten wirklich für alle außer Zweifel steht. Das versprüht zum einen die unangenehmen Vibes alter Buddy-Movies, in denen es stets eine heteronormative Romanze als Subplot geben musste, der es oblag, sämtliche homoerotischen Töne zwischen den Buddys zu ersticken. Und es lässt zum anderen an noch ältere Hollywood-Produktionen denken, in denen die Auftritte von Frauenfiguren das Tempo eines Films, die Action und das Abenteuer, bewusst vorübergehend zum Stillstand brachten.

Connelly ist ohne Frage eine hervorragende Schauspielerin (siehe Phenomena, Requiem for a Dream, A Beautiful Mind etc., etc.). In Top Gun: Maverick wird sie indes, oft in Zeitlupe, als ätherische Erscheinung ins Bild gesetzt, mit strahlenden Augen, glänzendem Haar, wie aus einer überambitionierten Make-up- oder Shampoo-Werbung. Würde Penny in einer Szene einfach selig lächelnd davonschweben, wäre es kaum überraschend. Die Beziehung zwischen Pete und Penny wird, immerhin, angenehm unaufgeregt erzählt; statt artifiziellem Sex gibt es zartes Bettgeflüster über die Angst, erneut verletzt zu werden. Doch leider bleibt das alles viel zu nebensächlich, um zu berühren.

Berührend ist in Top Gun: Maverick ohnehin wenig. Ein kurzer Flashback zur Top-Gun-Zeit, der die in Tränen aufgelöste Meg Ryan als junge Witwe von Petes bestem Freund Nick zeigt, erinnert uns daran, wie gut es dem Blockbuster-Kino der 1980er und 1990er-Jahre bei aller Künstlichkeit und bei allem inhaltlichen Nonsens gelang, Emotionen zu erzeugen. Gewiss war Scotts Werk in erster Linie ein sehr teurer 110-Minuten-Werbespot fürs Militär, schrecklich plakativ, pathetisch und patriotisch. Aber eben auch genial gefilmt und treffend gecastet, von einnehmender Musik umhüllt. Alles trug die Handschrift des Produzenten Jerry Bruckheimer, der funkelnde Hochglanz-Hits wie Flashdance (1983) oder Tage des Donners (1990) mitschuf. Nun sind Cruise und Bruckheimer, Tom und Jerry wieder vereint – doch der Zauber ist verflogen.

Das lässt sich schon an den zentralen Songs der beiden Filme ausmachen. Take My Breath Away (von der Pop-Band Berlin) – das versprach Aufregung, herrlichen Kitsch, der uns den Atem raubt und das Nachdenken vergessen lässt. Hold My Hand, die müde Hymne von Lady Gaga, scheint uns jetzt vorgaukeln zu wollen, dass sie uns versteht („You can cry every last tear/I won’t leave ‘til I understand“); sie scheint zu hoffen, dass wir sie lieb haben, weil es uns gerade echt dreckig geht. Das tut es uns ja auch – aber dieses Lied beziehungsweise dieser Film wird uns bestimmt nicht heilen. Joseph Kosinskis Top Gun: Maverick ist nie so wunderbar (und) schrecklich wie sein Vorgänger. Wenn Pete zum Lehrer wird und erst mal mit Aplomb das Buch mit allen Instruktionen in den Papierkorb pfeffert, der praktischerweise direkt neben seinem Performance-Pult steht, könnte das noch hübscher Pädagogik-Trash werden.

Aber es fehlt die Raffinesse. Eine Szene zwischen Pete und seinem alten, vom Krebs gezeichneten Kumpel Tom Kazansky (Val Kilmer) alias Iceman könnte bewegend sein, scheitert allerdings daran, dass Tom derart langweilige Plattitüden über seine elektronische Kommunikationshilfe übermitteln muss, dass diese selbst in dem an Plattitüden nicht gerade armen Drehbuch von Christopher McQuarrie, Ehren Kruger und Eric Warren Singer noch unangenehm auffallen. Die schwitzige Bonding-Einlage beim Beach-Football könnte Quentin Tarantino wieder dazu bringen, über eine „schwule Fantasie“ zu sinnieren; sie ist jedoch viel zu fantasielos, um zu begeistern. Und die Darstellung der Feinde als gesichts-, wort- und eigenschaftslose Bedrohung, die möglicherweise verhindern soll, eine konkrete Nation zu dämonisieren, führt in ihrer Einseitigkeit dazu, dass auch die Held:innen als Gegenparts keine Ambivalenz entwickeln können.

Die größte Enttäuschung ist, dass sich Top Gun: Maverick – anders als zunächst gedacht – gar nicht wirklich mit dem Altern seines Protagonisten befassen will. Am Ende werden doch wieder alle Pete zujubeln. Kumpelhafte Handshakes, zufriedenes Nicken, emporgestreckte Siegerfäuste, markige Sprüche und, ausnahmsweise, auch mal eine feste Männerumarmung: Pete und Bradley (Miles Teller), der verbitterte Sohn des toten Nick, sie retten einander wagemutig das Leben („I saved your life!“ – „I saved your life!“); weshalb sollten sie sich da noch grämen? Das übrige, diverser besetzte Personal spielt fürs Finale kaum noch eine Rolle. Pete ist (wieder) in der Zukunft angelangt. Denn die Zukunft scheint traurigerweise noch abgenutzter als die Vergangenheit zu sein. Wir müssen das wohl so hinnehmen. Aber High Fives, Euphorie oder gar ein dankbares Händchenhalten? Nope, keine Chance.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/top-gun-maverick-2022