Krieg und Spiele

Der Spaß des Nicht-Gesehen-Werdens

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Spiele können Krieg sein. Und Kriege können Spiele sein. Vor allem letzteres wird für Computerspiele immer zutreffender. Das verbindende, Spaß bringende Element der beiden ist in Krieg und Spiele der Joystick. Der Joystick und die Kamerabilder. Im Irakkrieg 1991 liegt der Grundstein dazu: der erste immaculate war, die Führung eines makellosen, sauberen Krieges, den alle an Bildschirmen beobachten konnten. Dort gab es körnige Kamerabilder zu sehen, die im Kopf von Marschflugkörpern installiert waren und alle mitverfolgen ließen, wie die Raketen punktgenau in ihre Ziele einschlugen. Den technischen und strategischen Weiterentwicklungen dieses Zusammenhangs geht Karin Jurschick in ihrem essayistischen Dokumentarfilm nach. Sie befasst sich mit Drohnen, die als bevorzugtes Mittel der Wahl als ferngesteuerte bis vollautomatische Fluggeräte zur Überwachung bis hin zur gezielten Tötung von mutmaßlichen Straftätern dienen.
Krieg und Spiele ist ein Film über (Un)Sichtbarkeit. Durch den Joystick ist eine Seite der kämpferischen Auseinandersetzung nicht mehr sichtbar. Der Auftraggeber wird unsichtbar. Er wird verkörpert durch die Drohne. Gleich zu Beginn stellt Jurschick in ihrem selbst gesprochenen Kommentar die Frage, ob die neuen Kriegsspielzeuge zu neuen Göttern am Himmel geworden sind. Göttern, die sich einschleichen, die niemand kommen sieht, die selbst aber alles sehen: "Die Götter sehen dich, immer", so die Regisseurin. Von der Frage, welche Folgen es hat, wenn ein Krieg nicht mehr von Auge zu Auge geführt wird, wenn also niemand mehr unmittelbar miterlebt, wie ein anderer Mensch stirbt, sondern nur noch Joysticks und Knöpfe bedient, um weit weg jemanden aufzuspüren und zu töten, kommt der angenehm kühle und analytische Film schnell auf die hintergründig-abstraktere Ebene der Mensch-Maschinen-Dialektik zu sprechen. Jurschick und ihre Neugier sind der rote Faden der Gedanken: wir begleiten sie auf ihrer Tour durch Heimwerkergaragen, Forschungslabore, Flughangars, Militärbüros, vorbei an Luftfahrtschauen und Showrooms. Mehrmals erwähnt sie, dass sie an vielen Orten lange warten musste, bis Drehgenehmigungen den Zugang zu ihnen und dem dazugehörigen Personal ermöglichten.

David Harari, Yair Dubester und Michael Shefer haben vor fast 40 Jahren für die israelische Armee das erste unbemannte Flugobjekt konstruiert. Jurschik bekommt von den Herren – sie nennen sich "die drei Musketiere" – eine Führung durch die Hallen, Labore und Büros von Israel Aerospace Industries. Die Steuerzentrale für Drohnen, also der Raum mit Steuerungsjoystick und Kontrollmonitoren, heißt "ground control". Vom Boden aus setzen weltweit viele Hersteller, Käufer und Anwender auf die Ausweitung der Beobachtung vom Luftraum. Das Gros des territorialen Raumes ist vermessen und verteilt – die Industrie fokussiert sich auf Luftraum, Weltraum und Cyberspace. In greifbare Nähe rückt damit eine totale Überwachung des Luftraumes: Markt und Flugstunden von Drohnen steigen weltweit exponentiell an. Die Abnehmer warten – und kaufen sofort, sobald neue Produkte auf den Markt kommen. Die haben Namen wie "Predator" (Jäger), "Reaper" (Sensenmann) oder auch "Certifiable Schutzengel". Auf die Frage, warum Unternehmen solche klar mit dem Töten besetzte Namen wählen, weicht ein Manager aus der Entwicklungsabteilung des US-Unternehmens General Atomics sachte aus. Er erzählt stattdessen positive Geschichten von Drohnen als humanitären Schutzengeln und Lebensrettern. Fragen nach Ethik und Moral dominieren den Drohnenmarkt allerdings nicht. Prioritäten gelten größtmöglicher Kundenzufriedenheit und der steten Weiterentwicklung der Produkte.

Mit der weltweiten Zunahme der medial zusätzlich verstärkten Verunsicherung der Staaten und Menschen wird die Welt selbst in den eigenen Augen immer beängstigender. Alle wollen vor ihrer eigenen Angst geschützt werden. Krieg und Spiele ist ein analytisches Porträt eines dazu verwendeten Produkts, allen Sicherheit und Schutz zu versprechen. Alles beobachten, alles voraussehen, das ist die Logik hinter dieser Strategie. Die Frage dabei bleibt, ob solch eine Logik Kriege verhindert oder sie vielleicht erst hervortreibt? Im Bereich des "Militainment", wo sich Unterhaltungs- und Gamingindustrie mit militärisch-kriegerischen Inhalten vermischen, hat eine Verschiebung stattgefunden. Früher ließ sich die Unterhaltungsindustrie vom Krieg inspirieren, während heute das Militär oft seine Ideen aus aktuellen Spielentwicklungen zieht. Jurschick trifft den Liverpooler Spieleentwickler Dave Anthony, der als Autor, Regisseur und Produzent den Videogame-Blockbuster Call of Duty: Black Ops I und II kreiert hat. Irgendwann fragte ihn das Pentagon als Berater an: seitdem arbeitet er als Senior Fellow beim Atlantic Council, einem Washingtoner Think Tank.

Die Haltung der Interviewten in Krieg und Spiele zeichnet sich durch eine Gemeinsamkeit aus: sie beziehen alle das negative Potential eines Missbrauchs der neuen Technik in kritische Gedanken mit ein. Trotzdem hält es sie nicht davon ab, ihrer jeweiligen Arbeit nachzugehen, die womöglich zu einer Verschärfung der Überwachungsmöglichkeiten beitragen. Als Intellektuelle und Wissenschaftler sind sie Entwickler, sie probieren aus, experimentieren, scheitern, sind erfolgreich: alles auch spielerische Vorgänge. Der Film trägt durchgängig nüchtern und mit leisem Witz und objektivem Ton in ruhigen (Fernseh)Bildern seine Gedanken vor. Nur der Score deutet in der stellenweise düster-unheimlichen Untermalung einiger Überwachungsbilder und Interviews subtil die eigene Position an. Ein Score, der den Gedanken ins Gedächtnis ruft, dass es, wenn es die technische Möglichkeit gibt, etwas zu tun, nur eine Frage der Zeit ist, bis es wirklich jemand tut. Zum Ende des Films hin werden die Überlegungen im Windschatten neuester Entwicklungen der Nanotechnologie und künstlicher Intelligenz rasanter: Maschinen werden immer menschlicher. Sie werden nicht mehr nur programmiert, sondern sind intelligent und selbständig lernfähig. Sie sind in der Lage sich selbst zu finden. Inwieweit der Mensch immer mehr zur Maschine wird, spielt dabei keine große Rolle. Theoretisch könnte der Mensch von intelligenten Maschinen in der Zukunft sogar abgeschafft werden, wenn er sich als ein Problemfall darstellt, der aus einem rationalen Entscheidungsprozess der Maschinen betrachtet nicht länger zu einer erstrebten Welt mit weniger Unglück und größtem Allgemeinwohl beiträgt.

Die Eingangsfrage, ob Drohnen und Maschinen die neuen Götter sind, wird von Krieg und Spiele vertagt. Sie könnten die neuen Götter am Horizont werden, falls der Mensch sie weiterentwickelt und entsprechend konstruiert. Jetzt schon sind sie unsichtbare Augen, die "tracken", beobachten, verfolgen und töten können, ohne dass die Beobachteten jemals Notiz davon nehmen. Neben dieser beängstigenden, totalitären Qualität ist eine Drohne die Erfüllung des alten Traumes des dokumentarischen direct cinema, die Fliege an der Wand zu sein und Filme aus einer reinen Beobachtungshaltung zu machen. Die Präsenz der Kamera würde die Gefilmten und das Geschehene nicht substantiell verändern, weil sie schlicht niemand mehr bemerken würde. Sie wäre unsichtbar. Wenn Drohnen in der Zukunft filmisch und damit auch zivil genutzt werden könnten, wären Entwicklungen und Gefahren möglich, die kaum absehbar sind. Rache ist ein menschliches Gefühl. Alle hätten dann selbst die Möglichkeit, eine eigene Göttin an der Seite schweben zu haben und ihr Befehle zu geben. So lange, bis die sich vielleicht irgendwann dazu entscheidet, den eigenen Schöpfer einfach loszuwerden.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/krieg-und-spiele