Schumacher (2021)

Der Mensch hinter der Maschine

Eine Filmkritik von Falk Straub

Michael Schumachers Rekorde in der Formel 1 schienen Bestwerte für die Ewigkeit. Inzwischen hat ihm Lewis Hamilton viele davon abgejagt – nicht zuletzt deshalb, weil der Brite mit seinem Rennstall Mercedes eine ähnlich dominante Phase erlebte wie der Deutsche eineinhalb Jahrzehnte zuvor bei Ferrari. Etwas mehr als 30 Jahre nach Schumachers Debüt in der höchstrangigen Rennserie der Welt feiert ein Dokumentarfilm über das Sportidol bei Netflix Premiere – und zeigt den Menschen hinter dem Fahrer, der seine Rennen mit der Präzision einer Maschine gewann.

Hanns-Bruno Kammertöns', Vanessa Nöckers und Michael Wechs schlicht Schumacher betitelter Dokumentarfilm ist nicht der erste über den 1969 in Hürth geborenen und auf der Kartbahn seines Vaters Rolf in Kerpen großgewordenen Ausnahmerennfahrer, aber der erste, den Schumachers Familie unterstützte. Ursprünglich sollte er regulär in die Kinos kommen, wurde aufgrund der Pandemie jedoch verschoben und startet nun beim Streamingriesen Netflix. Eins vorweg für all jene, die auf aktuelle Bilder des 2013 bei einem Ski-Unfall schwer verunglückten und seither von der Öffentlichkeit abgeschirmten Sportlers spekulieren: Auch in diesem Film wird es keine geben.

Kammertöns', Nöckers und Wechs großes Plus ist der direkte Zugang zu Schumachers Familie. Diese öffnet den dreien nicht nur ihr Privatarchiv, sondern redet auch offen über den Schicksalsschlag und das Leben danach. Diese Gespräche sind bewegend und lassen einigen Raum für Spekulationen. Der Rest des Films ist handwerklich einwandfreie, aber auch erwartbare Doku-Ware. Das Regietrio riskiert keine waghalsigen Überholmanöver. Ihr Film ist vom Start bis zur Ziellinie konventionell erzählt und gestaltet. Archivaufnahmen wechseln sich mit Interviews ab, in denen neben Schumachers Frau Corinna, Vater Rolf, Bruder Ralf und den erwachsenen Kindern Gina Maria und Mick, der inzwischen selbst in der Formel 1 fährt, auch ehemalige Teamkollegen und Konkurrenten zu Wort kommen.

Von Ex-Formel-1-Boss Bernie Ecclestone und Ex-Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo über Schumachers alte und neue Manager Willi Weber und Sabine Kehm bis hin zu Teamchefs und technischen Direktoren wie Flavio Briatore, Jean Todt und Ross Brawn sowie last, but not least Rennfahrern wie Damon Hill, Mika Häkkinen, David Coulthard oder Eddie Irvine ist mehr oder minder alles vertreten, was in der Formel-1-Branche zu Schumachers Zeiten Rang und Namen hatte. Auffällig ist aber auch, dass einige große Namen, die nicht so gut auf Schumi zu sprechen waren, fehlen. Gern hätte man etwa Alain Prosts oder Nigel Mansells, Jacques Villeneuves oder Fernando Alonsos, Rubens Barrichellos oder Felipe Massas Meinung gehört.

Wer Michael Schumachers aktive Zeit miterlebt hat und sich sonntags in aller Herrgottsfrühe vor den Fernseher quälte, wenn die Rennen in Australien und Südostasien ausgetragen wurden, erinnert sich noch gut daran, dass dieser herausragende Sportler stets polarisierte. Während die einen freudetrunken in der "Schumania" versanken, weil sie endlich einem deutschen Formel-1-Weltmeister zujubeln konnten, kritisierten andere Schumachers rücksichtslosen Fahrstil, seine Arroganz und seine Steuerflucht in die Schweiz. Im Dokumentarfilm klingt vieles, aber nicht alles davon an.

Schumachers ehemaliger Konkurrent Damon Hill, den nicht wenige bis heute durch Schumacher unfair um einen WM-Titel gebracht sehen, zeigt sich in der Rückschau erstaunlich nachsichtig. Und auch die übrigen Talking Heads zeichnen das bereits zigfach gezeichnete Bild eines zwiegespaltenen Perfektionisten, der sich keine Fehler eingesteht: unerbittlich auf der Rennstrecke, herzlich im Umgang mit dem Team und in der Familie. Ein Fahrer, der im Flow auf der Strecke eins mit der Maschine wird und darüber alles vergisst; ein "Meister im Ausblenden", wie es Corinna Schumacher formuliert. Ein Getriebener, ein Rastloser, der selbst im Schoß der Familie selten zur Ruhe kam. Aber eben auch ein Familienmensch und guter Freund, der alle, die ihm nahe sind, bedingungs- und selbstlos unterstützt.

Erzählerisch konzentrieren sich Kammertöns, Nöcker und Wech auf Schumachers Anfangsjahre und die schwierige Zeit bis zu seinem dritten Weltmeistertitel, dem ersten mit Ferrari nach mehr als 20 Jahren der Durststrecke für den italienischen Rennstall. Schumachers vier weitere Titel sind dem Regietrio ebenso wie sein schwerer Unfall und dessen Folgen nur noch eine Fußnote wert. Dank einiger Aufnahmen aus dem Privatarchiv bietet dieser Dokumentarfilm zwar einige eindrückliche Einsichten, aber wenig neue Erkenntnisse. Denn auch dieser Film kommt über die Dichotomie des Rennfahrers und Familienmenschen, des Egoisten und Teamplayers nicht hinaus.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/schumacher-2021