Die schönste Zeit unseres Lebens (2019)

Der schöne Schein vergangener Zeiten

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der einstmals erfolgreiche, mittlerweile aber frustrierte und zynisch gewordene Comiczeichner Victor (Daniel Auteuil) ist einer jener ständig nörgelnden und niemals zufriedenen alten Männer geworden, deren Gegenwart man kaum mehr aushält, weil sie voller negativer Energie stecken und ihr gesamtes Umfeld mit hinabziehen in einen Strudel aus schlechten Gefühlen und permanentem Unbehagen. Kein Wunder, dass seine Gattin Marianne (Fanny Ardant) ihn schon seit längerem mit Victors bestem Freund François (Denis Podalydès) betrügt und ihren Ehemann irgendwann vor die Tür setzt - so richtig verdenken kann ihr das niemand. Unterschlupf findet Victor ausgerechnet bei seinem Nebenbuhler, von dessen Beziehung zu seiner Frau er nichts weiß, und hängt derart in den Seilen, dass sein Sohn schließlich auf eine Idee kommt, wie er seinem waidwunden Vater wieder mental auf die Beine helfen könnte. Dessen einstiger Klassenkamerad Antoine (Guillaume Canet) hat ein Unternehmen gegründet, das auf Wunsch zahlungskräftiger Klienten Events organisiert, die in jeder beliebigen Epoche angesiedelt sein können, so dass die Kundschaft sich dort durch eine vergangene Welt bewegen kann.

Victor, unversehens in den Genuss eines solchen Events gekommen, wünscht sich – sei es aus Sehnsucht oder reinem Masochismus – jenen einen Abend wieder zu erleben, an dem er Marianne zum ersten Mal traf: in einer Kneipe namens La Belle Epoque im Jahre 1974. Antoine, für den Victor in seiner Kindheit und Jugend ein echtes Vorbild und eine Art Ersatzvater war, legt sich ins Zeug und zaubert eine Kulisse, die alle Erwartungen übertrifft. Und als dann noch Antoines Ex-Geliebte (Doria Tillier) als Marianne einen großen Auftritt hinleget, ist Victor so sehr von dieser jungen Version seiner Marianne fasziniert, dass er alles Geld zusammenkratzt, um diese Inszenierung jenes Abends wieder und wieder und wieder zu erleben. Doch weil das alles nur ein schöner Schein ist, muss er sich eines Tages der Realität stellen.

La Belle Epoque beginnt – quelle surprise – just in jener Zeit, die der Begriff im Französischen beschreibt: Eine Abendgesellschaft soupiert gediegen und opulent, als eine Bande Maskierter das traute Fest sprengt und für Chaos sorgt. Bis sich herausstellt, dass sowohl die Feierlichkeit wie auch der Überfall nur inszeniert waren. Dieses doppelbödige Spiel wird im Folgenden zum beherrschenden Grundprinzip von Nicoals Bedos zweitem Spielfilm (nach Die Poesie der Liebe aus dem Jahre 2017), in dem neben den Altstars Daniel Auteuil und Fanny Ardant vor allem Doria Tillier groß aufspielt.

Mit spritzigen Dialogen und pointierten Wendungen ist La Belle Epoque eine gelungene französische Komödie voller Charme und Esprit, die auf leichte Art und Weise tiefgründige Fragen nach der Haltbarkeit der Liebe, der trügerischen Magie von nostalgischen Erinnerungen und des Verhältnisses von Fiktion und Realität behandelt. Das Tempo und die Wendungen, die der Film immer wieder nimmt, sein Spieltrieb und die unverhohlene Sympathien für nahezu jeden der durchaus manchmal schwierigen Charaktere heben ihn heraus aus der Masse jener französischer Komödien, die in den vergangenen Jahren den Kinomarkt fluteten und dabei, so hat man das Gefühl, das Niveau stetig weiter absenkten. Mit Sicherheit kein Film für die Ewigkeit, aber eine verdammt unterhaltsame Komödie, die prickelt, funkelt und anregt – das ist schon einiges mehr, als man heute im Arthouse-Kino erwarten kann.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-schoenste-zeit-unseres-lebens-2019