Happy Ending - 70 ist das neue 70 (2018)

Gibt es das späte Glück?

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Am Ende geht alles ganz schnell - nach 50 Jahren Ehe. Die ganze Zeit über hat sich die 69-jährige Helle (Birthe Neumann) für ihren Ehemann Peter (Kurt Ravn), der mehr mit der Arbeit als mit ihr verheiratet war, aufgeopfert und ihm den Rücken freigehalten, damit er sich vor allem seiner Arbeit widmen konnte. Und dann erklärt er ihr ausgerechnet am letzten Arbeitstag vor dem Ruhestand, dass er fortan Wein importieren will und mit dem gemeinsam Ersparten bereits ein Weingut in Österreich erworben hat. Dass er dies ohne das Wissen seiner Frau gemacht hat, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Schließlich, so sein Insistieren, war es die ganzen Jahre über ja er, der das Geld verdient hat. Und darüber hinaus sei seine Frau einfach zu langweilig. Eine Frechheit, doch das ist eben die Welt, wie Peter sie sieht.

Als Helle ihn wegen seines Alleingangs zur Rede stellt, packt der seine Sachen und zieht kurzerhand bei der gemeinsamen Tochter Nanna (Rikke Bilde), die fassungslos mitansehen muss, wie sich die Krise der Eltern zu einer handfesten Trennung auswächst. Zwar ist Helle überzeugt, dass Peter eines Tages zu ihr zurückkehren wird - doch der stürzt sich mit Feuereifer in sein neues Single-Dasein und denkt vorerst gar nicht an einer Rückkehr ins zwar heimelige, aber auch dröge Nest, sondern sucht sein neues (Liebes-)Glück vorerst mit Hilfe eines Dating-Portals.

Zunächst zögernd und vor allem mit der Hilfe ihrer Freundinnen wagt nun auch Helle die ersten Schritte hinaus ins Leben und erlebt dabei einige Überraschungen, als sie etwa eines Tages die um einiges jüngere Bankdirektorin Trine (Charlotte Sieling) kennenlernt und mit der eine aufregende Nacht verbringt. Verwirrt durch diese neue Erfahrung findet sie mehr und mehr Gefallen an den neuen Möglichkeiten, die sich ihr bieten. Doch von da an wird alles auch ein wenig kompliziert, zumal dann doch eines Tages Peter wieder vor der Tür steht.

Happy Ending - 70 ist das neue 70 ist ein Film der eher leisen Zwischentöne, der nur bei der Zeichnung des Egomanen Peter satirisch überzeichnet und überspitzt, sonst aber überraschend feinfühlig und manchmal fast verhalten seine liebevoll gezeichneten Figuren auf ihrem Lebensweg begleitet.

Angenehm lebensnah ist dabei geraten, dass Hella Joof und ihre Drehbuchautorin Mette Heeno, die die Geschichte ihrer eigenen Eltern als Inspirationsquelle nutzte, das Handeln und den Charakter ihrer Hauptfiguren nicht bewerten und selbst der krasse Egoist Peter am Ende keine unglaubwürdige Wandlung zu einem besseren Menschen durchmachen muss - und der Film dennoch mit einer gewissen Sympathie auf ihn blicken kann.

Neben Sebastián Lelios Gloria - sowohl dem argentinischen Original wie auch dem US-amerikanischen Remake und dem vor kurzen erst in den deutschen Kinos gestarteten Und wer nimmt den Hund? - bildet Happy Ending - 70 ist das neue 70 ein Spektrum des Kinos, das anscheinend in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnt. Filme für die so genannten „Best Ager“, die sich mit überwiegend leichter Hand (Andreas Dresens Wolke 9 bildet in diesem Corpus eher die Ausnahme denn die Regel) den auch amourösen Problemen der Generation 60+ widmen. Ein Trend, dessen Bedeutung in den kommenden Jahren sicherlich noch zunehmen wird. Und zugleich ein Menetekel für die spür- und anscheinend unvermeidbare Alterung des Arthouse-Kinos und seiner Zuschauer*innen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/happy-ending-70-ist-das-neue-70-2018