Bonnie & Bonnie (2019)

Für die Liebe und ein freies Leben

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Die Liebe trifft einen manchmal wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ohne Vorwarnung und schonungslos. So passiert es auch Yara, der eigentlich ein anderes Leben beschienen ist. Sie stammt aus einer albanisch-muslimischen Familie und wird, so ist es Tradition, in geraumer Zeit mit einem geeigneten Kandidaten verheiratet werden. Und dann trifft sie eine andere junge Frau und freundet sich mit ihr an. Nur die Blicke verraten, dass die Anziehung zwischen den beiden Frauen mehr als nur freundschaftlich ist. In Yaras Kultur allerdings ist die Liebe zwischen Frauen ein absolutes No-Go. Auf authentische Weise lotet der Film "Bonnie & Bonnie" von Ali Hakim die Grenzen der Liebe zwischen zwei Frauen unterschiedlicher Kulturen aus und zeigt noch ganz viel mehr.

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Die 17-jährige Yara (Emma Drogunova) übernimmt schon früh Verantwortung: Sie lebt mit ihrem Vater und ihren drei Geschwistern in Hamburg-Wilhelmsburg, wo sie sich neben ihrem Job in einem kleinen Supermarkt um den Familienhaushalt und vor allem die jüngeren Geschwister kümmert, nachdem die ältere Schwester das Weite gesucht hat. Auf diese sind sowohl der Vater als auch der ältere Bruder Bekim (Slavko Popadic) nicht gut zu sprechen, schließlich habe Leyla (Natalia Rudziewicz) die Familie im Stich gelassen, nein, verraten, weil sie sich verliebt hatte und mit dem Freund durchgebrannt war, um mit ihm ihr Leben zu verbringen. Mittlerweile wohnt sie in einer anderen Stadt und arbeitet als Ärztin.

Diese Hintergrundgeschichte um Yaras Schwester offenbart die Umstände, in denen Yara aufwächst, und die Erwartungen, die ihr Vater, ihr Bruder und all die anderen Menschen um sie herum haben – denn, auch das wird früh im Film deutlich, was unter den anderen Albanern im Viertel gesprochen und bewertet wird, ist wie ein Richtungsweiser für das Familienleben und die Entscheidungen des Einzelnen. Daran hält man sich. Und dann verliebt sich Yara in die 18-jährige Kiki (Sarah Mahita).

Die beiden jungen Frauen sind vom ersten Augenblick an voneinander angezogen. Dass dies Verliebtsein oder Liebe ist, verstehen sie erst später, und doch versuchen sie von Anfang an, jede freie Minute miteinander zu verbringen, sie lernen sich über Gespräche, aber auch über Blicke, Stimmungen und gemeinsam erlebte Situationen näher kennen. An einem Abend kommt es zu einem Kuss, erst schüchtern, wenngleich auch leidenschaftlich, und dann werden die Küsse ganz selbstverständlich, obwohl Yara betont: „Sowas geht eigentlich nicht bei uns. Bei uns ist es schon schlimm, einen Freund zu haben.“

Deshalb müssen die beiden ihre Liebe geheim halten, und doch kommt sie irgendwann heraus. Als Bekim, der selbst an Kiki interessiert ist und schon lange versucht, mit ihr auszugehen, von der Beziehung zwischen Yara und Kiki erfährt, ist er außer sich, deckt sie aber zunächst. Doch als Yara ihm, dem Älteren, nicht gehorchen will, greift er zu anderen Mitteln, um die Familienehre zu retten.

Der Titel des Films, Bonnie & Bonnie, nimmt natürlich Bezug auf ein anderes Paar, eines der berühmtesten Gangsterpaare – nicht nur der Filmgeschichte: Bonnie und Clyde, und spielt mit den Vorgaben des Filmklassikers. Denn Yara und Kiki geht es im Kampf für ihre Liebe natürlich auch um Selbstbestimmung und die Möglichkeit eines freien Lebens gegen alle Konventionen. Sie werden zu Outlaws in einer Gesellschaft, deren Regelwerk ein zu enges Korsett für sie ist, in das sie nicht hineinpassen wollen. Die Konsequenz kann nur Flucht aus dieser Gesellschaft und der Aufbruch in eine neue sein.

Die Kraft, die Bonnie & Bonnie hat, liegt vor allem an den beiden Hauptdarstellerinnen. Emma Drogunova und Sarah Mahita spielen überzeugend und kraftvoll ihre Rollen als Yara und Kiki. Sie haben die Wut in den Augen ebenso wie die versteckte Zärtlichkeit dahinter, nach denen sich beide Figuren sehnen. Sie verkörpern, ja, leben regelrecht diese verlorenen Figuren, die durch die jeweils unterschiedlichen Gründe und Hintergründe ein Leben vorgezeichnet zu haben scheinen und doch eigentlich nur eines wollen: ein selbstbestimmtes, freies Leben ohne Zwänge und Bevormundung.

Darüber hinaus ist Ali Hakim in seinem Debütfilm ein authentisches Bild der Menschen gelungen, die er in den Fokus rückt: Diejenigen, die in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, einerseits tief mit ihrer Herkunftskultur verwurzelt sind und andererseits in einer Gesellschaft leben, die ganz anders funktioniert, ihnen andere Möglichkeiten bietet und andere Selbstverständlichkeiten für sie bereit hält. Sich darin zurecht und seinen eigenen Weg zu finden, ist nicht leicht – und von außen noch schwieriger zu verstehen. Das zeigt Bonnie & Bonnie glaubwürdig, mehr noch, macht es nachvollziehbar.

Das ist die größte Stärke des Films: Dass er es dem Publikum ganz leicht macht, sich mit den Figuren zu identifizieren – mit den beiden Protagonistinnen ebenso wie auch mit den Nebenfiguren wie Yaras Bruder Bekim oder auch ihrem Vater. Und damit erreicht der Film ein Verständnis nicht nur für die eventuell ‚anderen‘ Kulturen, sondern auch für das Leben zwischen den Kulturen und die Erkenntnis, dass interkulturelle Kompetenzen allein nicht genügen, sondern dass es weitere Lösungen braucht, um eine globalisierte, multikulturelle Gesellschaft wirklich möglich zu machen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bonnie-bonnie-2019