In Search ... (2018)

Lebenslange Narben

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der Weg im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung ist steinig und lang. Schätzungen zufolge sind weltweit 200 Millionen Mädchen und Frauen von female genital mutilation (FGM), so der internationale Fachbegriff, betroffen. Die Filmemacherin Beryl Magoko ist eine davon. Jährlich kommen drei Millionen Beschneidungen hinzu. Magoko kann und will das nicht länger stillschweigend hinnehmen. Ihr subjektiv gefärbter Dokumentarfilm macht nachvollziehbar, warum es selbst aufgeklärten Frauen wie ihr schwerfällt, das in der Kindheit erlittene Trauma zu überwinden.

Die Regisseurin wuchs in einem kleinen Dorf in Kenia auf. Obwohl ihre Mutter dagegen war, wurde ihre Tochter verstümmelt. Damals seien weder die Kirche noch der Staat gegen Beschneidungen gewesen, sagt sie. Familienmitglieder hätten Druck ausgeübt. Ihre Tochter wiederum wusste es schlicht nicht besser. In der kleinen Welt dieses kleinen Mädchens war jede Frau beschnitten. Von den Folgen, unter denen Beryl Magoko jahrzehntelang litt, erfuhr sie erst zwei Monate nach ihrer Beschneidung in der Schule.

Heute leidet Magoko nicht mehr. Sie hat sich einer rekonstruktiven Operation unterzogen, in der der äußere Teil ihrer Klitoris und die kleinen Schamlippen mittels plastischer Chirurgie wiederhergestellt wurden. Magokos verschlungener Weg dorthin ist Teil ihres Films. Ein Kamerateam begleitet sie bei Arztbesuchen und im Operationssaal. Sie unterhält sich mit anderen Betroffenen, sie stellt kritische Frage und hinterfragt sich selbst. Eine nachdenkliche Reise zu ihrer ganz persönlichen Weiblichkeit, die ihr ihrem Empfinden nach im Kindesalter genommen wurde.

Nicht jede Frau, mit der sich Magoko trifft, hat sich für eine rekonstruktive Operation entschieden und nicht jede, die bereits eine hinter sich hat, will erkannt werden. Selbst dieser Schritt zur Selbstermächtigung ist schambehaftet. In den ruhig und reflektiert geführten Gesprächen kristallisieren sich auch Magokos eigene Zweifel heraus. Wie wird ihre Familie, wie ihre Mutter reagieren? Und ist der abermalige Eingriff in ihren Intimbereich womöglich ein größerer Fehler als der so schmerzhafte erste?

Beryl Magoko nimmt ihr Publikum an die Hand und schreitet die Stufen bis zu ihrer Operation behutsam ab. Trotz der Tragik und Drastik des Themas ist ihr Film nicht davon gezeichnet, dafür auf bewundernswert leise Art dringlich. In ihren Gedankengängen und in denen ihrer Gesprächspartnerinnen spiegelt sich die ganze Perfidität eines von Männer gemachten Unterdrückungssystems wider. Ein System, in dem sich wohlgemerkt nicht die Männer die Hände schmutzig machen. Es sind Frauen, die Mädchen körperlich und dadurch auch seelisch beschneiden, indem sie diese ihres späteren Frauseins berauben. Obwohl die im Film gezeigten Frauen um dieses System wissen, hadern sie damit, es zu überwinden. Der traumatische Moment sitzt so tief, dass er das ganze Leben und Denken bestimmt.

Um diesen Teufelskreis unhinterfragter Traditionen zu durchbrechen, braucht es Frauen wie Beryl Magoko und Filme wie diesen. An einer Stelle stellt sie ihr ganzes Projekt infrage. Eigentlich, so sagt sie im Bett liegend, wolle sie anderen Betroffenen keinen Stress verursachen und zieht sich die Bettdecke über den Kopf. Zum Glück verkriecht sie sich nur kurz. „Das ist ein Problem, das angesprochen werden muss!“, sagt sie. In Search … durchbricht die Schweigespirale. Magokos lange Suche ist erfolgreich.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/in-search-2018