Making Waves: The Art of Cinematic Sound (2019)

Am Anfang war der Sound

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Am Anfang war das Wort. So steht es nicht nur in der Genesis, dem ersten Kapitel des Alten Testaments, sondern so verhält es sich auch für jeden Einzelnen von uns, bevor wir das Licht der Welt erblicken. Vor der Geburt, noch im Mutterleib, wenn die Augen nichts erblicken, ist der Embryo bereits ganz Ohr und lauscht den Klängen des Herzrhythmus sowie den Stimmen, die von außen zu hören sind. Kein Wunder also, dass wir unser Leben lang eine ganz besondere Beziehung zu den Tönen haben - und dennoch ist der Sound gerade im Film ein Faktor, der vielfach unterschätzt wird und der fast immer nicht nur im Schatten der Bilder steht, sondern schlichtweg keine Erwähnung findet.

Die Regisseurin Midge Costin, ihres Zeichens „Professor of Sound“, bzw. korrekt Kay Rose Professor in the Art of Sound Editing an der USC School of Cinematic Arts und eine ausgewiesene Fachfrau, deren Filmografie Blockbuster wie The Rock - Fels der Entscheidung (1996), Con-Air (1997) und Armageddon (1998) umfasst, weiß genau, wovon sie erzählt. Der Lehrstuhl, den sie seit 2005 innehat, wurde von George Lucas persönlich gestiftet und ist der erste seiner Art. Schon das vermittelt einen Eindruck davon, wie stiefmütterlich die Filmbranche bislang diejenigen behandelte, die die Leinwand und die Filme zum Klingen bringen.

Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit, aber ohne jede akademische Attitüde, sondern stets an Verständlichkeit und prägenden Beispielen orientiert, durcheilt ihr niemals langweiliger, sondern stets informativer wie fesselnder Film die Filmgeschichte und fördert dabei immer wieder Erstaunliches zutage, das man so noch nicht wusste und auch nie vermutet hätte: Dass beispielsweise der Stereosound erst mit Frank Piersons Version von A Star Is Born aus dem Jahre 1976 mit Kris Kristofferson und Barbara Streisand, die auch als Produzentin fungierte, Einzug in die Kinos hielt, liegt viel später, als man dies vermutet hätte.

Dabei ist Costins Blick - was wenig verwundern dürfte - unübersehbar vor allem aus der US-amerikanischen Sichtweise  geprägt. Europäische oder asiatische Filme finden bei ihrer Chronologie eher am Rande statt. Stattdessen kann sie mit einer enormen Anzahl und Prominenz ihrer Interviewpartner punkten: Neben Regisseuren wie Steven Spielberg, George Lucas, Ang Lee,  Robert Redford, David Lynch und Sofia Coppola versammelt sie die Crème de la Crème der Tonkunst vor der Kamera - so etwa den legendären Walter Murch (The Conversation, Apokalypse Now!), Alan Splet (The Elephant Man), Ben Burtt (Star Wars, ET) und Gary Rydstrom (Toy Story; Jurassic Park). Und all diese Männer und Frauen plaudern aus dem Nähkästschen und erzählen Geschichten, die Filmgeschichte schrieben. Und so freut man sich neben Anekdoten darüber, wie Ben Burtt R2D2 zum Klingen brachte, ganz besonders über den kreativen Geist der 1970er Jahre, als noch nicht jede Nuance des Filmtons am Computer hergestellt wurde, sondern Sound Designer echte Pioniere waren. Aber auch das Gegenwartskino ist mit seinen Digitaleffekten (Black Panther) und mit eher behutsameren Arbeiten (Roma) ausreichend vertreten, so dass der Film niemals in nostalgische Schwärmerei verfällt.

Doch es sind nicht allein die Details, die diesen Film zu einem Must-see für alle Filminteressierten machen, sondern auch der Überblick und die Wertschätzung, mit denen Costin die verschiedensten Berufsbilder der Sound Departments aufdröselt: ADR und Production Recordists, Foley Artists und Sound Designer ordnet sie nebeneinander an und ein und vermittelt so selbst dem Laien ein Gesamtbild, das ihn oder sie beim nächsten Kinobesuch ganz genau wird hinhören lassen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/making-waves-the-art-of-cinematic-sound-2019