Ich bin Anastasia (2019)

Mal ernsthafter, mal humorvoller Wandel

Eine Filmkritik von Falk Straub

Unsere Gesellschaft ist in Bewegung. Was vielen vor Jahren noch undenkbar erschien – etwa eine Kommandeurin, gar eine Transfrau, bei der Bundeswehr –, ist heute möglich. Ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, Hautfarbe und sexuellen Orientierung erobern sich Menschen immer mehr Räume. Doch das Pendel schwingt auch in die andere Richtung. Was bis vor Kurzem noch als unsagbar galt, ist heute ebenfalls (wieder) möglich. Auch davon erzählt Thomas Ladenburgers Dokumentarfilm, wenn auch nur am Rande.

Im Zentrum steht Anastasia Biefang, 1974 als Marc Biefang geboren, die noch als Mann beim Militär Karriere macht. Nach ihrem Comingout und ihrer Transition zur Frau wird sie zur Kommandeurin befördert. Im Oktober 2017 übernimmt sie das Kommando über das Informationstechnikbataillon 381 im brandenburgischen Storkow. Die Kollegen sind skeptisch, aber alsbald von ihrer Kompetenz und ihrem Führungsstil überzeugt. Ladenburg hat diesen Prozess mit der Kamera begleitet und Anastasia, ihre Lebensgefährtin und spätere Ehefrau Samanta, ihre Eltern, Vorgesetzte, Gleichrangige und Untergebene interviewt. Sein Dokumentarfilm zeigt, dass Veränderung nicht zuletzt mit der Sprache anfängt.

Eine der ersten Reaktionen eines Vorgesetzten auf das Comingout war die Frage nach der Anrede. Obwohl es dafür, anders als etwa beim britischen Militär, keine offizielle Vorschrift gab, sprach er seinen Soldaten künftig als Frau und Soldatin an. Dass die Bundeswehr nicht immer so weltoffen und verständnisvoll gewesen ist, verdeutlicht eine kurze Nebenepisode mit der Kampfpilotin Christiane „TX“ Meiners, die ihre Transition schon Jahre vor Anastasia durchlief und sich bis heute mehr Anerkennung für ihre Pionierleistung als erste weibliche Kampfpilotin wünscht.

Anastasias Eltern wiederum sind in den Interviews ab und an unsicher, ob sie von ihrer neu gewonnenen Tochter auch dann von einer Tochter sprechen sollen, wenn sie auf die Zeit zurückblicken, als diese noch ihr Sohn war. Wie verständnisvoll und mitfühlend sie diese Herausforderung annehmen, ist bewundernswert.

Anastasia selbst ist sich ihrer Vorbildfunktion, aber auch ihres Privilegs bewusst, dass sie es als ehemals weißer Mann und hochrangiger Militär leichter als viele anderen hatte. Stets reflektiert und eloquent setzt sie sich mit der eigenen Vergangenheit und Gegenwart auseinander und für die Rechte von Transmännern und Transfrauen ein.

So positiv, bewegend und durchaus überraschend all das ist, Ladenburg blendet die Vorurteile und Diskriminierung nicht aus, zeigt auch den Hass, der Menschen entgegenschlägt, die eine andere sexuelle Orientierung haben als die heteronormative. In Anastasias Bataillon waren es Befürchtungen über zu viel Medienrummel, der von der Arbeit der Truppe ablenken und sich zu sehr auf die Person der Kommandeurin fokussieren könnte. Aber auch das übliche Schubladendenken, dass eine Frau nicht das Zeug für eine Führungsposition mitbringe, sprechen die Interviewten rundheraus an. Dass die direkte Begegnung solche Vorurteile abbaut, macht Hoffnung.

Hoffnungslos verloren sind indes die Ewiggestrigen, die ihren Hass im Internet über Menschen wie Anastasia Biefang auskübeln oder Anastasia und Samanta auf der Straße beschimpfen. Die Kommandeurin reagiert darauf mit einem trotzigen Mittelfinger und einer abgeklärten Replik. Die Frau an ihrer Seite nimmt vieles mit Humor. Ein echtes Pfund, mit dem dieser nicht immer fokussierte, inszenatorisch und erzählerisch mitunter etwas holprige Dokumentarfilm wuchern kann. Dann wird am Esstisch diskutiert, ob Anastasia ihre Hoden nach der Operation begraben möchte oder eine Party mit penis- und brustförmigen Kuchen feiert. Ein ebenso ernsthafter wie humorvoller Wandel.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/ich-bin-anastasia-2019