Blown Away - Music, Miles and Magic (2019)

Mit dem Segelboot zu den Liedern der Welt

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Reise-Dokumentarfilme sprießen wie Pilze aus dem vom Mitteilungsdrang in sozialen Medien vorbereiteten Boden. Sie treffen auf ein Publikum, das mitfiebern will, wenn jemand aus demselben Kulturkreis über den Tellerrand schaut und sich den Reizen und Bewährungsproben der Fremde stellt. In der Regel sind junge Leute die Filmemacher und Protagonisten zugleich. Der technische Fortschritt ermöglicht es ja grundsätzlich auch Amateuren oder Unerfahrenen, ein kinotaugliches Reisetagebuch zu erstellen. Darin geht das typische Fernweh der jungen Generation dann meistens einher mit dem Privileg und dem Anspruch, die westeuropäische Freizügigkeit in der Ferne ausleben zu können.

Die Qualität der einzelnen Filme ist aus all diesen Gründen immer wieder für Überraschungen gut. Wenn es um Selbstverwirklichung geht, ist auch die Neigung zur Selbstbespiegelung groß. Schnell können Dinge, die für die Protagonisten wichtiger sind als für das Publikum, in den Mittelpunkt geraten – Fahrzeugpannen, Probleme mit Zoll und Visa, Knatsch zwischen den Reisegefährten. Einschlägige Negativbeispiele könnten hier mühelos aufgelistet werden, aber es gibt auch die gelungenen Exemplare – wie den erfolgreichsten Dokumentarfilm des Jahres 2017 im deutschsprachigen Raum, Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt. Wichtig für das Gelingen solcher Filme ist zum einen die Persönlichkeit der Protagonisten und wie sie sich darstellen, zum anderen, ob sie sich als Kundschafter in der Fremde bewähren und dort etwas erfahren, wovon es sich zu erzählen lohnt.

In Blown Away verbinden zwei junge Freunde – ausgebildete Toningenieure, die auch gerne Musik machen – die Sehnsucht nach der Ferne und dem Abenteuer mit der Absicht, Musiker kennenzulernen. Sie wollen Lieder aufnehmen und sie unterwegs in einer Art gemeinschaftlichem Work in progress weiterentwickeln. Die beiden Protagonisten Ben Schaschek und Hannes Koch werden auf ihrer Weltreise durch 31 Länder 213 Musiker kennenlernen. Sie nehmen 130 Songs auf, 34 bilden den Soundtrack des Films. Unter ihrem Projektnamen Sailing Conductors bringen sie zwei Platten heraus.

Vier Jahre dauert die Reise von Ben und Hannes mit einem Segelboot. Sie beginnt in Südostasien und führt über Indien, Afrika, Südamerika und Nordamerika zurück nach Europa. In einzelnen Ländern wie Indien und den USA setzen sich die beiden auch mal in den Zug, um das Landesinnere zu erkunden. Aus ihren mitgebrachten Bild- und Tonaufnahmen hat der Regisseur und Cutter Micha Schulze den Film zusammengestellt, der inhaltlich nicht ganz die Erwartungen erfüllt, die das so ehrgeizige Projekt zu wecken vermochte.

Bald stellt sich heraus, dass die Weltreise zu umfangreich wird, um in einen Film zu passen. Ganze Länder werden folglich im Schnellverfahren abgehakt, Landgang, ein bis zwei Musiker treffen, weiter. Was erfährt das Publikum beispielsweise über Jamaika? Ben und Hannes besuchen den Geburtsort von Bob Marley, allerdings ohne Gewinn für die Zuschauer. Sie werden auf eine Marihuana-Plantage geführt, dürfen an Pflanzen schnuppern und vielleicht auch mehr, jedenfalls scheint die Stimmung nachher im Auto gelöst zu sein. Außerdem singt der ältere Reggae-Sänger Chokey Taylor ein poppig-aufmunterndes Lied. Auf Kuba wird dann dieses Lied von Musikschüler*innen orchestriert.

Ein paarmal, aber weder ausgesprochen oft noch sonderlich mitreißend schildert der Film solche länderübergreifenden Weiterentwicklungen einzelner Stücke. Eines basiert auf einer folkigen Gitarrenaufnahme des Südafrikaners Andrew James, die dann von der Brasilianerin Vicky Lucato und einem Jugendorchester aus der brasilianischen Stadt Salvador gesanglich und instrumental angereichert wird. Die Stippvisiten bei Musikschulen in Südamerika und auf Kuba haben ihren Reiz, aber fallen viel zu kurz aus.

Oft sieht man den Südafrikaner Jack Mantis zur Gitarre singen. Ben und Hannes lernen ihn in Trinidad und Tobago kennen und er wird die beiden über einen längeren Zeitraum auf der Reise begleiten. Die Songs erinnern oft an die 1970er Jahre, es gibt auch den einen oder anderen Rap, außerdem ein paar originell bis eigenwillig anmutende Beiträge. Aber bei der Crossover-Erfahrung sprühen keine Funken. Weder teilt sich die Freude am Live-Musizieren, am Komponieren und Arrangieren so richtig mit, noch sind die lokalen, traditionellen Einflüsse markant genug, um im Zusammenspiel etwas wirklich Außergewöhnliches entstehen zu lassen. Am Ende des Films gibt es dann jedoch ein längeres Stück, an dem auch viele Musiker mitwirken, die vorher gar nicht zu sehen waren.

Vor allem fehlt etwas Entscheidendes, wenn Ben und Hannes in all diesen verschiedenen Ländern Musiker kennenlernen. Manche laden zu sich nach Hause ein, aber wie sie ihren Alltag gestalten, ob sie von ihrer Kunst leben, wovon sie träumen, wonach sie streben, darüber erfährt man einfach viel zu wenig. Relativ ausführlich werden hingegen die vielen Tage auf See geschildert, wobei auch schöne segeltypische Aufnahmen mit schrägen Bildebenen entstehen und imposante selbstgeangelte Fische vor die Kamera gehalten werden. Der eine oder andere Motorschaden bleibt den Zuschauern nicht ganz erspart, aber man muss den beiden jungen Freunden zugutehalten, dass sie sich nicht enervierend über ihre Tagesform und eventuelle Unpässlichkeiten auslassen. Die Reise macht ihnen sichtlich Spaß und sie sind gut drauf. Für einen durchschnittlich unterhaltsamen Reisebericht mit Amateurcharakter reicht das, für bahnbrechende Entdeckungen weniger.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/blown-away-music-miles-and-magic-2019