Die rote Linie - Vom Widerstand im Hambacher Forst (2019)

Ich will Sonne statt RWE

Eine Filmkritik von Simon Hauck

„Ich habe diesen Film nicht für mich gemacht, sondern für alle, die sich seit sieben Jahren für der Erhalt des Hambacher Forsts einsetzen und Widerstand gegen die Pläne des Energieriesen RWE leisten“, erklärte Regisseurin Karin de Miguel Wessendorf anlässlich der Weltpremiere von „Die rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst“ ihre eigene Grundmotivation für diesen offen gesellschaftspolitisch konnotierten Dokumentarfilm.

Seit 2015, als die ersten Umweltschützer Teile des 550 Hektar großen Stieleichen-Hainbuchen-Maiglöckchen-Wald in der Nähe von Köln besetzten, hat die 1974 in Barcelona geborene Filmemacherin (Weniger ist mehr – Die Grenzen des Wachstums und das bessere Leben) und Hörfunkautorin (Den kriegen wir durch!) das teilweise turbulente Geschehen hautnah mit der Kamera verfolgt.

Ausgehend vom persönlichen Engagement Einzelner, die sich mitunter aus verschiedenen Interessen gegen den Braunkohleabbau und die massive Rodung des „Hambis“ einsetzen, sowie von zahlreichem Archivmaterial aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erzählt Karin de Miguel Wessendorf die Genese dieses jüngsten großen Umweltschutzprotestes, der seit dem Frühjahr 2018 quer durch die Republik zunehmend größeres Interesse fand.

Spätestens am 6. Oktober 2018 war der 50.000-fach geäußerte Protest gegen die weiteren Baupläne des RWE-Konzerns mitten in dieser tausend Jahre alten „grünen Lunge“ schließlich zu einem bundespolitisch höchst relevanten Tagesthema avanciert. Und die Bilder dieser friedlichen Großdemonstration bestimmten tagelang die Nachrichtenkanäle genauso wie die Stammtische oder Socia Media-Kanäle.

Obwohl man in Karins de Miguel Wessendorfs verhältnismäßig einseitiger Langzeitbeobachtung beispielsweise relativ wenig vom tragischen Tod eines 27-jährigen Journalisten erfährt, der bei einer Räumungsaktion von seiner Hängebrücke im Wald in den Tod stürzte, und die Laufzeit für Die rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst mit rund zwei Stunden en gros zu lange ausfällt, ist der Kölnerin mit diesem Dokumentarilm ein jetzt schon wichtiges Zeitdokument gelungen.

Denn der solidarische Kampfspruch „Hambi bleibt“ hat sich bereits ins kulturelle Langzeitgedächtnis der Bundesrepublik eingebrannt. Und auf diese Weise reiht sich der Name Hambacher Forst in den historischen Reigen umweltpolitisch besonders umkämpfter Orte ein, für die einst zigtausende Demonstranten aus verschiedensten sozialen Milieus und Einkommensschichten mobilisiert werden konnten: Gorleben, Brockdorf oder Wackersdorf. Mit weitgehendem Erfolg, wohlgemerkt, was in Teilen Sachsens oder im Saarland in der Vergangenheit in puncto Rodungen, Kraftwerksbau oder Zwangsumsiedlungen nicht immer so erfolgreich war.

Karin de Miguel Wessendorf setzt in diesem durchwegs ohne RWE-Vertreter in Szene gesetzten Dokumentarfilm von Beginn an auf ein solidarisches „Wir“-Gefühl und ein sicherlich zu erwartendes, dennoch emotional funktionierendes David-gegen-Goliath-Setting.

Ohne Off-Kommentar, klassische Experten- oder Politiker-O-Töne erzählt sie diese aufregenden sieben Jahre vielmehr anhand der individuellen Protestaktionen ihrer vier zentralen Protagonisten. Einer davon ist der bewusst anonym auftretende „Clumsy“, der über Jahre zu den Erstbesetzern des Hambacher Forsts gehörte.

Eine andere wichtige Protagonistin ist Antje Grothus, die als Umweltschützerin und lokale Bürgerrechtlerin in benachbarten Buir begann und es bis in die so genannte „Kohlekommission“ in Berlin geschafft hat, um dort als „free speech“-Vorreiterin ohne Scheuklappen oder Lobbyismusinteressen aktiv für die „grüne Sache“ und gegen den Braunkohle-Tagebau zu kämpfen, der nicht nur in Teilen NRWs oder Sachsens bereits zu gigantischen Endzeitlandschaften geführt hat: mit irreversiblen Folgen für Fauna und Flora, wie diverse Umweltschutzverbände seit Jahren predigen.

Wenn Karin de Miguel Wessendorf dafür effektvolle Kameradronenflüge einsetzt, schaudert es einen natürlich sofort angesichts jenes brutalen Raubbaus an der Natur wie an den Abermillionen Miniorganismen innerhalb und unterhalb des Hambacher Forsts, was der Essener Energiekonzern RWE lediglich mit einem Achselzucken und dem Verweis auf „richterlich genehmigte Beschlüsse und Baukonzepte“ quittiert. Ebenso ratlos wie wütend macht den Zuschauer mehrfach die lange Zeit überaus strenge, immerhin vom NRW-Innenminister höchst persönlich angeordnete „harte Linie“ im Umgang mit den Demonstranten und „Baumbesetzern“ in diesem mittlerweile berühmtesten Waldstück der Republik.

Im Zuge des immer schärfer werdenden Protestes rückten am Ende groteskerweise 31.000 Polizisten mit Schlagstöcken und Tränengas gegen etwa einhundert „Baumbesetzer“ an, was unabhängig von Parteifarben keinesfalls zu tolerieren ist und von Karin de Miguel Wessendorf mehrmals in packenden Miniaturen eingefangen wurde. Was nach zwei Stunden bleibt, ist Hoffnung: vorerst – und hoffentlich auch weiterhin. Denn Deutschland hat (noch) viele Wälder, wenngleich die Klimabilanz Deutschlands keineswegs im „grünen Bereich“ ist.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/die-rote-linie-vom-widerstand-im-hambacher-forst-2019