La Gomera - Verpfiffen und verraten (2019)

Das Leben, ein Pfeifen!

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Pfeifen, so sollte man meinen, ist eigentlich kinderleicht und bedarf, wenn man erst einmal den Bogen raus hat, keiner großen Anstrengung. El Silbo aber, die (real existierende) Pfeifsprache der kanarischen Inseln, ist da schon ein wenig vertrackter. Das liegt nicht allein an der Technik der Tonerzeugung, bei der der angewinkelte Zeigefinger in einem schrägen Winkel in den Mund eingeführt werden muss, sondern auch an der Linguistik, die Vokale und Konsonanten in Tonhöhen übersetzt. Und weil die Pfeifsprache auch über größere Distanzen funktionieren soll, muss das Ganze auch noch sehr laut geschehen.

Anfangs verzweifelt der extra zum Erlernen der Sprache nach La Gomera angereiste korrupte Polizist Cristi (Vlad Ivanov) an den vielen Fallstricken von El Silbo, doch das ist bei weitem nicht sein einziges Problem. Cristis Grund für das Erlernen der Sprache ist nicht etwa Interesse, sondern etwas anderes. Der Teilzeit-Gauner und Matratzenfabrikant Zsolt (Sabin Tambrea) wäscht Geld für die Drogenmafia und sitzt nun im Knast, weil er „verpfiffen“ wurde. Aber weil er den Verbleib von 30 Mio. Euro kennt, soll er aus dem Gefängnis befreit werden – eine Aktion, an der nicht nur die Drogengang, sondern auch seine überaus verführerische Freundin Gilda (Catrinel Marlon) ein großes Interesse hat. Hinzu kommen Cristis Kolleg*innen, allen voran seine Chefin Magda, von der man eigentlich auch die ganze Zeit nicht weiß, auf welcher Seite sie wirklich steht. Denn warum ist ihr Büro ebenso mit Wanzen und Kameras versehen wie Cristis Wohnung?

Plottechnisch ist La Gomera ein waschechtes Noir-Derivat, das nicht nur über eine überaus verführerische Femme fatale, korrupte und verliebte Polizisten sowie charmante Gangster verfügt, sondern auch jede Menge Referenzen an Filme wie Psycho und Die Spur des Falken bereithält. Neu ist dabei vor allem der Einbau der Pfeifsprache, die für einige komische Momente sorgt, wenn Cristi etwa am Anfang seine liebe Mühe mit dem richtigen Ansatz der Finger im Mund und mit der benötigten Atemtechnik hat. Und noch etwas anderes unterscheidet La Gomera von seinen Vorbildern – obwohl man diesen Trick schon aus anderen Filmen kennt. Mittels neonfarbener Tafeln hat Regisseur Corneliu Porumboiu La Gomera in Kapitel eingeteilt, die jeweils den Namen eines Akteurs tragen und diesen im Folgenden ins Geschehen einführen. Angesichts der Noir-typischen Unübersichtlichkeit des Plots wirkt das schon fast wie eine kleine Handreichung an das Publikum und hilft zweifellos gewaltig bei der Orientierung, wer denn jetzt schon wieder mit wem koaliert.

La Gomera ist ein erstaunlich leichter Film – trotz seinen wilden Zeitsprüngen und der nicht-chronologischen Erzählweise. Dank seiner zahlreichen Referenzen auf Filmhistorisches und die deutlichen Vorbilder, derer sich Porumboiu angenommen hat, macht das Werk einfach Spaß. Es fordert den Zuschauer heraus, am Ball zu bleiben und all die kleinen Andeutungen und großen Verneigungen zu enträtseln. Und das Ende, bei dem ein Park in Singapur mittels Licht zum Walzertanz gebracht wird, ist eines von der Sorte „zu schön, um wahr zu sein“.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/la-gomera-verpfiffen-und-verraten-2019