get me some HAIR! (2018)

Der Widerspenstigen Mähne

Eine Filmkritik von Falk Straub

Der Verfasser dieser Zeilen kennt das Problem. Ebenfalls mit einem widerspenstigen Schopf ausgestattet sind Frisurfragen ein Graus. Lang oder kurz, glatt oder lockig? Irgendwann hilft nur noch, den natürlichen Haarwuchs als Teil des eigenen Selbst zu akzeptieren. Antoinette Barthel, die ihr Ehemann Lars ins Zentrum seines neuen Dokumentarfilms stellt, kann sich damit nicht begnügen.

Jeden Monat braucht die gebürtige Jamaikanerin eine neue Frisur. Falsche Haare, um genau zu sein, die sie sich in ihre echten flicht, näht oder klebt – mal in den eigenen vier deutschen Wänden, mal bei der Straßenfrisörin in der Karibik. Dieses Mal muss der Göttergatte ran. Auf dem Flur ihrer Berliner Altbauwohnung kappt Lars die Enden des alten Kunsthaars, um Platz für neues zu schaffen und kriegt sich darüber mit Antoinette, nun ja, in die Haare. Warum tut sich Antoinette das an? Warum investiert sie so viel Zeit und Geld? Und warum findet sie ihre echten Haare, die Lars so liebt, so abstoßend? In den kommenden eineinhalb Stunden will Lars das ein für alle Mal klären.

Lars Barthel leidet an einer typischen Berufskrankheit. Der 1953 in Erfurt geborene Kameramann, der die DDR 1982 verließ, um mit seiner ersten Frau und der gemeinsamen Tochter nach Indien zu gehen, kann gar nicht anders, als jederzeit zu filmen. Schon vor 25 Jahren, als er Antoinette bei einem Dreh auf Jamaika kennenlernte, hielt er einfach drauf. Alte Aufnahmen zeigen sie dabei, wie sie sich um ihre sieben Schwestern und ihren Sohn Quido kümmert. Diesem und anderem Archivmaterial sei Dank, ist aus get me some HAIR!, der schon durch die Schreibweise seines Titels aus der Reihe tanzt, ein ausgesprochen intimes Filmerlebnis geworden. Ein lebhaftes Homevideo einer Patchwork-Familie zwischen Jamaika und Deutschland, zwischen Kingston und Berlin.

Ausgangspunkt ist eine simple Bitte. Dass er ihr ein paar Haare besorgen solle, gibt Antoinette Lars mit auf den Weg, als er von Jamaika nach Burma reist, wo er an der einzigen Filmschule des Landes Kamera unterrichtet. Dort fragt Barthel bei seiner alten Bekannten und Vertrauten Aunty Mary nach, die ihm nicht nur Echthaar besorgt, sondern dadurch angeregt einen lukrativen Handel damit aufzieht. Wie es der Zufall will, erzählt Barthels Film dadurch auch von den Verflechtungen des internationalen Haarhandels.

Dieses episodische, vom Leben geleitete Erzählprinzip hat Methode. Ebenso locker, wie Barthel sich selbst als Protagonist einbringt und seine Überlegungen aus dem Off einstreut, schweift sein Blick über die Lebensbedingungen in Jamaika und Burma, über den unterschiedlichen Umgang mit Haaren und Schönheitsidealen und rückt dabei starke Frauen wie seine eigene, wie seine Tochter Libell, wie Aunty Mary und deren Tochter Cherry oder für einen flüchtigen Moment die Go-go-Tänzerin Miss Ann ins Zentrum.

Die Ausgangsfrage, welcher tiefere Sinn hinter Antoinettes Haar-Obsession liegt, beantwortet Lars Barthel nur ansatzweise. Dass das Unbehagen über die Haare tief im Rassismus wurzelt, ist zwar keine neue, aber eine wichtige Erkenntnis. Warum mit dem Ende der Sklaverei und des Kolonialismus nicht auch dieses Fremdeln mit dem eigenen Aussehen ein Ende fand, warum es nicht längst als Gegenreaktion stolz zur Schau getragen wird, bleibt offen. Auch den weltweiten Haarhandel beleuchtet get me some HAIR! allenfalls am Rande.

Letztlich ist das nicht schlimm. Denn Barthel hat in erster Linie einen Liebesfilm gedreht, über die Liebe zu Berlin, Jamaika und Burma, zu seinem Beruf und seiner Reiselust, zu seiner kleinen Patchwork-Familie und natürlich zu seiner Frau Antoinette. Welche Haare sie gerade trägt, ist der Liebe egal.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/get-me-some-hair-2018