Booksmart (2019)

Klüger als der ganze Rest

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Wo kommt der denn bitte auf einmal her? Wie aus dem Nichts kommen manche Filme, geschliffene Diamanten, wo man keine Reichtümer vermutet, elegante, intelligente kleine Kunstwerke, wo man allenfalls grobes Handwerk erwartet hätte.

Booksmart beginnt, wie so viele Highschool-Komödien, an einem Schulmorgen im Schlafzimmer der Protagonistin, aber schon hier ist alles anders. Molly (Beanie Feldstein) ist nicht blond und schlank. Mit geschlossenen Augen hört sie ein Motivationshörbuch, oder ist es ein Selbstbehauptungsmanifest? „Fuck those losers“, heißt es da sehr ernsthaft (die großartige Maya Rudolph leiht ihre Stimme), scheiß auf die anderen, die deine wahre Größe nicht erkennen. Die Wände sind ein Schrein für feministische Slogans und erfolgreiche Frauen: Michelle Obama, The Notorious R.B.G.

Dann steht Amy (Kaitlyn Dever) vor der Tür mit ihrem Volvo-Kombi, dem wahrscheinlich unsexiesten Auto der Welt. Die beiden haben sich nur eine Nacht nicht gesehen, aber das Wiedersehen ist dennoch so enthusiastisch wie ritualisiert: Beste Freundinnen seit Jahren, Verbündete und Vertraute.

Es ist der letzte Schultag vor der Abschlussfeier, Amy und Molly zelebrieren noch einmal, wie sie ihre Schulzeit verbracht haben: Mit Fleiß und Arbeitswillen, damit sie dann auf die richtig guten Universitäten gehen können. Kein Spaß, keine Partys, keine Drogen. Besser als all die anderen, von denen sie glauben nicht ernstgenommen worden zu sein.

In einem sensationell demütigenden Moment auf der Schultoilette muss Molly jedoch feststellen, dass all die anderen, die sich über ihren Fleiß und ihr Strebertum ein wenig lustig machen, eben auch auf den guten Colleges gelandet sind. „Wir interessieren uns halt nicht nur für Schule.“ Und so entschließen sich die beiden Freundinnen, in ihrer letzten Nacht an der Highschool nachzuholen, was sie in den Jahren davor versäumt haben: Party. Und ganz nebenbei noch dort, auf ihrer ersten richtigen Feier, vielleicht mit den Mitschüler_innen anzubändeln, die sie heimlich anschwärmen?

Olivia Wilde konzentriert sich in ihrem erstaunlichen Langfilmdebüt fast ganz auf diese 36 Stunden zwischen der morgendlichen Motivationsansprache und der Abschlussfeier; sie schickt ihre beiden Protagonistinnen auf eine Tour de Force des Erwachsenwerdens, samt Drogentrip, Polizeigewahrsam und Zusammentreffen mit einem Serienmörder – aber nichts davon ist gestelzt, nichts bemüht; dem Drehbuch gelingt es, auch kleine komödiantische Momente später wieder aufzunehmen, ihnen noch einmal einen neuen Dreh zu geben.

Für die ersten Filmkritiken zu Booksmart war Superbad ein fast zwangsläufiger Vergleichspunkt, die zwölf Jahre alte Highschool-Komödie aus dem Dunstkreis von Judd Apatow um drei nerdige Jungs, die zum Abschluss ihrer Highschool-Zeit auf eine Party gehen wollen. Aber die Ähnlichkeiten hören im Grunde bei den Kernpunkten der Handlung schon auf; Booksmart ist wesentlich mehr als nur eine Variation des Bekannten mit jungen Frauen.

Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, warum das so ist. Die ersten sind emotional und formal: Denn erstens erzählt Wilde hier mit Herz, mit Liebe. Nicht mit der schmalzig-kitschigen Form der einfallslosen romantischen Komödie, sondern mit einem liebevollen Blick auf die beiden Protagonistinnen und ihre Welt, und schließlich und wirklich auf alle Figuren in diesem Film. Da ist nicht nur keine Bösartigkeit, da ist echte Zuneigung auch für Fehler und Schwächen. Zweitens, und das ist mit der Liebe aufs Engste verwoben, erzählt Booksmart genau. So klischiert die Figuren an der Highschool anfangs wirken mögen, jede_r einzelne bekommt noch Komplexität eingehaucht; Amy und Molly aber sind so, wie sich jede_r von uns Schuldorks gefühlt hat. Meine Güte, dies sind die seltsam obsessiven Geister, die falsch geschriebene Graffiti auf dem Schulklo korrigieren und es für Spaß halten müssen, als Abendunterhaltung eine vierstündige Dokuserie von Ken Burns anzusehen.

Drittens aber, und da kommen wir der Sache auf den Grund, ist Booksmart von ganzem Herzen und mit lauter Stimme feministisch. Natürlich amüsiert sich der Film ein wenig darüber, wie diese beiden jungen Frauen, die eben nur „booksmart“ sind, ihr Wissen also primär ausschließlich aus Büchern gewonnen haben, ihren Feminismus auch zelebrieren, aber noch wenig Lebenserfahrung mitbringen. Aber er macht sich nicht darüber lustig, und schickt die beiden stattdessen auf eine Wachstumsreise: konzentriert, hochdosiert, irrsinnig beschleunigt. Die beiden haben auch an Herzensbildung noch etwas nachzuholen.

Man würde sich wünschen, andere Highschool-Komödien ließen die Jungs in ihren Hauptrollen so zwar spätpubertär-peinlich berührt, aber zugleich offen, gelassen und klar über Sexualität sprechen wie Molly und Amy es in diesem Film tun. Man würde sich wünschen, Homosexualität wäre so selbstverständlich in diese Filme integriert, wie es hier bei Amy der Fall ist. Geschlechterrollen wären so selbstverständlich fluide, wie es bei Booksmart ist, wo „gender performance“ ebenso zum Vokabular der Protagonistinnen gehört wie „vagina“. Sexuell aktive Schülerinnen wären niemals Schlampen. Körpergewicht und sexuelle Orientierung wären niemals Thema, und sicher nicht für herablassende Bemerkungen.

Dieser Film nimmt keine Gefangenen, weil er auch keine Gegner_innen kennt. Er spielt zwar in einer Traumwelt, in einem idealisierten Amerika der okay bis sehr gut Verdienenden, wo auch abwesende, desinteressierte Eltern nicht zur Verrohung und Abstumpfung der Kinder führen müssen, und von Freundlichkeiten bis Sex passiert alles immer mit gegenseitigem Einverständnis. Insofern ist Booksmart aber nicht nur eine Komödie und ein Zeitdokument, sondern vor allem auch eine Utopie: So sollte es sein, so sollte es gewesen sein. Die Schulzeit als safe space, als Versuchsraum, als Raum der Selbsterkennung, in dem alles geht, was den anderen nicht schadet.

Und man ahnt dann doch, diese Utopie kommt nicht aus dem Nichts. Sie hat ihre Vorgeschichten, ihre Vor-Filme. Vielleicht ein Hauch von Heathers, etwas mehr als eine Prise von 10 Dinge, die ich an Dir hasse mit seiner feministischen Heldin, die dann doch noch frei nach Shakespeare gezähmt wird, und die guten Seiten von Einfach zu haben, in dem zwar über heterosexuellen Sex freier gesprochen werden konnte, aber ihn zu haben immer noch moralisch fragwürdig ist.

Sie kommt aus einem Drehbuch, das Emily Halpern und Sarah Haskins, die dann später an Serien wie Trophy Wife und Black-ish zusammenarbeiten würden, 2009 geschrieben hatten und das dann auf der sog. „Black List“ toller, aber nicht produzierter Drehbücher landete. Das dann 2014 von Susanna Fogel (Bad Spies) überarbeitet wurde und schließlich den letzten Schliff von Katie Silberman bekam, die sich mit dem Buch von Isn‘t It Romantic an einer so feministischen wie massentauglichen romantischen Komödie versucht hatte.

So ist ein Buch entstanden, das sich in Wortwahl und Ton, in Stil und Dramaturgie seinen Figuren anschmiegt und doch immer noch etwas mehr ist, flott, witzig, anspielungsreich und richtig, richtig intelligent. Dazu gibt es einen Haufen komischer Talente zu sehen, Nachwuchs wie Etablierte (Jessica Williams hat nicht von ungefähr einen kleinen Gastauftritt). Und die Inszenierung bringt es so richtig zum Leuchten: Im Kamerablick auf Amy und Molly, auf ihre Blickwechsel. Die Aufteilung der Bilder in Vorder- und Hintergrund, die Platzierung der Personen, ein Blick auch für komische Details.

Alles kulminiert dann auf der heiß ersehnten Schulparty in einer einzigen, minutenlangen Plansequenz, in der Wilde ihre Hauptfiguren auf einen wilden Ritt schickt: ohne Schnitt vom totalen Glück, auf dieser Party und verliebt zu sein, über einen ersten emotionalen Absturz bis hin zum möglichen Zerwürfnis mit der besten Freundin, atemberaubend.

Hier kommt all das zusammen, und es ist sichtbar kein Zufall, kein plötzliches Erscheinen aus dem Nichts: Ein präzises Drehbuch mit brillanten Dialogen, außerordentlich talentierte Schauspielerinnen, und eine junge Regisseurin, die sich ihr Handwerk ganz und gar zu eigen gemacht, ihre Entscheidungen wohl überlegt hat. Nicht vom Himmel gefallen ist dieser Film also, sondern ein Beispiel dafür, was möglich ist, wenn brillante Frauen endlich gemeinsam richtig großartige Dinge tun können.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/booksmart-2019