Vita & Virginia (2018)

Literatur und Liebe

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine literaturgeschichtliche Liebesgeschichte. Chanya Button geht von der Vita-Perspektive aus, um die literarische Welt der 1920er, eine Frauenbeziehung wie auch ein Doppel-Charakterporträt filmisch zu erstellen. Co-Drehbuchautorin Eileen Atkins hat dafür ihr Theaterstück porträtiert – und einen nicht geringen Reiz von „Vita & Virginia“ macht das Hybride aus: Kostüme und Ausstattung sehen nach Historienfilm aus, die Dialoge weisen auf literarische Rhetorik hin, die Musik aber ist bisweilen von Elektropop durchwirkt und die Liebesbriefe zwischen Vita und Virginia sind wirkungsvoll in Porträtaufnahmen der Protagonistinnen eingefangen.

Vita (Gemma Arterton) war schon einmal mit einer Frau durchgebrannt. Ihr Mann (Darren Dixon) ist Diplomat. Im Radio reden die beiden über die moderne Ehe, die nicht auf patriarchalischer Unterdrückung beruht. Der Ehemann ist schwul. Vita lesbisch. Als Schriftstellerin populär, intellektuell aber wenig anerkannt. Bis sie Virginia (Elizabeth Debicki) kennenlernt und sie haben will. Denn was immer Virginia sagt, könnte als Sentenz in Stein gemeißelt sein. Höchster Geist in diesem fragilen Körper. Sie ist faszinierend. Und gilt als verrückt. Alle warnen Vita, ihr Mann, ihre Mutter. Virginia schreibt, die besten Bücher, die sich kaum verkaufen; doch sie ist depressiv, manisch, immer wieder lässt Button aus Wänden, aus dem Boden Pflanzen wachsen, ihr Geist dreht mitunter ab.

Doch wenn sie schreibt, dann schreibt sie. Und Vita kann nur staunen. Diese Art des Denkens ist faszinierend – und Vita umwirbt Virginia. In Briefen, in Einladungen, sie sucht Gehör, sie sucht die Nähe. Wunderbar ist dieses Flirten in Briefform, in Schriftform gestaltet, ein sanftes Anstürmen, eine liebevolle Eroberung. Und aus dieser Annäherung entwickeln Atkins und Button ihre Figuren: Vita, die weiß, was sie will – die aber auch immer wieder etwas anderes will, und die das, was sie will, absolut will; und Virginia, die in ihrem weitreichenden Denken gefangen ist, der der Körper nichts ist, deren brillante Klugheit in geheimem Zusammenhang mit ihrer schüchternen Zurückhaltung steht: Sie sagt nur etwas, wenn sie etwas zu sagen hat.

Eine Liebesgeschichte entwickelt sich, literarisch, geistig, dann auch körperlich. Und ein Zeitporträt, in dem nicht nur Homosexualität – männlich wie weiblich – höchst verpönt war, sondern auch überhaupt die Idee, dass eine Frau aktiv sein könnte, etwas wollen könnte, etwas tun wollen könnte. Der Arzt erklärt einen von Virginias Anfällen daher in dieser vorherrschenden Logik: Manchmal würden Frauen mit zu viel Geist nicht umgehen können. Der Film führt Diskurse über Ehe, Unabhängigkeit, über Geschlechterrollen und literarische Arbeit, über Gender und Genialität – und er tut dies auf sinnliche Weise, aus der Sinnlichkeit erwächst der Geist des Films. Der Zuschauer ist emotional dabei und intellektuell eingebunden. Und er erlebt zudem literaturhistorisch das Entstehen von Woolfs wie von Sackville-Wests Texten mit, bis hin zu Orlando, in dem Virginia 1928 ihre Vita literarisch neu erfunden hat: Ein Held, der eine Heldin ist und zur Fiktion wird.

Lediglich zum Ende hin wird die Handlung zu lang; ein früheres Filmende zu finden hätte gut getan.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/vita-virginia-2018