Two Lovers and a Bear

Hören Sie auf diesen Bären!

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

"Du kannst vor deiner Vergangenheit nicht weglaufen", sagt der Eisbär. Und dann erzählt er etwas über Inder und Karma und schleckt einen Schluck aus Romans (Dane DeHaan) Whiskeyflasche. Der Bär ist super. Man möchte sofort nach Alaska fliegen und ihn suchen. Auch wenn es dort ziemlich kalt ist, wie Kim Nguyen gleich zu Beginn von Rendezvous mit einem Eisbär in wundervollen Panoramabildern zeigt: weiße Schneeflächen aus der Vogelperspektive. Darin zwei kleine Punkte auf Schneemobilen, die sich durch das Eis bewegen. Die Kälte ist für Roman und seine Freundin Lucy (Tatiana Maslany) nicht das Problem. Sie macht ihnen nichts aus, dagegen schützen sie sich tagsüber mit dicken Daunenjacken und nachts mit gegenseitigen Umarmungen im warmen Bett.
Dass das Glück der Liebenden aber nur so dünn wie eine Eisdecke in der Frühlingssonne ist, zeigt sich schnell. Lucy ist an der Uni im Süden angenommen worden, Roman will dorthin nicht zurück. Er kann nicht dorthin zurück, sagt er zu Lucy und dann wirft er sie raus, kauft zwei Flaschen Whiskey und versucht, seinen Schmerz mit Alkohol und Schießübungen zu bekämpfen – wie man das als Mann in Alaska eben so macht. Hilft natürlich nicht (hat es das jemals?).

Und hier kommt der titelgebende Bär ins Spiel: Denn, man ahnt es ja bereits, der Liebeskummer ist nur die Spitze des Eisbergs an Gefühlen, die unter Romans harter Schale lauern. Das sagt ihm der Bär auch und Roman hört ihm zu. Er kann die Sprache der Bären; dass er wirklich versteht, was der Bär ihm sagen will, kann man aber nicht behaupten. Dabei meint es der Bär gut mit ihm. "Dir ist klar, dass ich dein einziger Freund bin", sagt er. Das stimmt, denn Roman ist ziemlich einsam, seit er sein Elternhaus im Süden verlassen hat. Deshalb verletzt es ihn umso mehr, dass Lucy ihn verlassen will, doch das kann er ihr natürlich an diesem Punkt noch nicht sagen. Zu sehr hält ihn gefangen, was er in seiner Vergangenheit getan hat, zu sehr fürchtet er sich vor dem, was ihm widerfahren ist, und dem, was er damals getan hat. Der Bär weiß das, deshalb spricht er ja vom Karma. Und dann verschwindet er wieder in der Dunkelheit.

Wer ist dieser Bär? Ein Geist, ein Gott? Hat das etwas mit mystischer Inuit-Tradition zu tun? Kim Nguyen hat ein Faible für solche mystischen Momente. Die gibt es schon in seinem vorigen Film War Witch, wenn die toten Verwandten die Kindersoldatin Komona vor Kämpfen warnen, in denen sie sonst umkommen würde. Geister inszeniert Nguyen nie verwaschen oder mit schummerigen Spezialeffekten, sie sind einfach da. So wie das im echten Leben auch ist. Wir schleppen die Geister unserer Vergangenheit mit uns herum und sie können jederzeit auftauchen, ob wir darauf vorbereitet sind oder nicht. So ist das auch bei Lucy, die immer wieder ihren verstorbenen Vater sieht, der ihr nachläuft, sie beschimpft, mit ihr reden will. Und sie läuft fort und ist davon überzeugt, ihn in Alaska zurückzulassen, wenn sie es erst einmal in den Süden geschafft hat. Deshalb überredet sie Roman letzten Endes doch, sie zu begleiten. Die Liebenden treten eine lebensgefährliche Reise durch die Eiswüste an, der Bär wird noch einmal auftauchen, um sie zu warnen, dass eine Flucht sie nie von der Angst vor ihrer Vergangenheit befreien können wird. Der Bär ist weise, und wie es mit weisen Ratschlägen im Leben so ist, ignorieren Roman und Lucy sie und rennen weiter fort und direkt in ihre Albträume hinein.

Ihr Antrieb mag sich als Wunsch nach Freiheit tarnen, ist aber eigentlich die pure urständige Angst. Nguyen gelingt es, sie über dem Film hängen zu lassen wie die wabernden Polarlichter, die Lucy so gern fotografiert. Man wartet immer wieder darauf, dass etwas Gruseliges, Grauenhaftes passiert, verharrt in dieser köstlichen Suspense-Haltung und erschrickt sich dann umso mehr, wenn die Geister ganz unvermittelt und ohne Vorwarnung auftauchen. Wie weit würde man selbst gehen, um diesen Geistern zu entkommen? Und was würde es ändern, wenn man die Flucht zu zweit für die Liebe antritt? Kann man sich retten oder treibt man sich gegenseitig nur unweigerlich ins Verderben? Nguyen gibt darauf eine eindeutige Antwort und man ist sich am Ende nicht sicher, ob man mit ihr zufrieden sein will. Nur der Bär, das steht außer Frage, der ist wirklich super.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/two-lovers-and-a-bear