Der Esel hieß Geronimo (2018)

Reif für die Insel?

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wer hat nicht schon einmal von einem Neustart auf einer (einsamen) Insel geträumt? In der Realität schlägt dieser Traum schnell in einen Koller um. Bigna Tomschin und Arjun Talwar nehmen eine Gruppe Utopisten in den Blick, deren Inselprojekt soeben gescheitert ist – und ziehen ihren Dokumentarfilm literarisch auf.

Das vermeintliche Paradies liegt nicht in der Süd-, sondern in der Ostsee. Wo genau es sich befindet und wie es heißt, bleibt offen. Die porträtierten Männer liegen in Flensburg vor Anker. Den gesprochenen Sprachen und den im Wind wehenden Flaggen nach zu urteilen, muss das traumhafte Eiland irgendwo zwischen Deutschland und Dänemark sein. Dort gab es ein Restaurant, Schafe und einen Esel, der auf den Namen Geronimo hörte. Als das Restaurant noch in Betrieb war und den Insulanern Arbeit bot, verkehrte eine Fähre täglich dorthin. Heute fahren die Männer auf ihren eigenen Booten nur noch selten raus und können doch nicht von diesem Ort lassen.

„Die Insel selber? Ja, was soll ich darüber reden? Schöne Insel, scheiß Inhaber. Thema durch!“, gibt einer der ehemaligen Bewohner zu Protokoll. Damit könnte Tomschins und Talwars Film eigentlich zu Ende sein. Denn viel Erhellendes fügen sie nicht mehr hinzu, was auch am Termindruck während der Produktion liegt. Als das Regieduo seine Dreharbeiten begann, war die Inselgemeinschaft bereits in Auflösung begriffen. Wie der Alltag dort aussah, bleibt bis auf wenige Archivaufnahmen die große Blackbox dieses Films. Alle Gespräche kreisen darum, doch wir können nicht hineinschauen. Zum anderen stellen Tomschin und Talwar keinerlei Fragen, hören den Männern stattdessen nur zu. Woher sie kommen, was sie vorher taten, was sie auf die Insel trieb und warum ihre Utopie scheiterte, wie viel davon wahr ist und was verklärt, erfahren wir allenfalls in Ansätzen.

Das reine Beobachten hat aber auch etwas für sich. Aus großer Distanz mit Fixbrennweiten aufgenommen, sieht diese dokumentarische Seemannssehnsucht außergewöhnlich aus. Das beständige Kreisen um einen lange Zeit nicht greifbaren Ort trägt zum Spannungsaufbau bei. Nach etwas mehr als 50 Minuten segelt der Film erstmals in Richtung Insel. Bis er dort ankommt, wird es weitere 20 Minuten dauern. Dazwischen erzählt er keine große Geschichte, sondern viele kleine, wie es eine der Protagonistinnen in Bezug auf das verloren geglaubte Paradies formuliert.

Letztlich tragen all diese kleinen Geschichten nicht, weil wir viel zu wenig über die Charakterköpfe darin erfahren. Stattdessen schauen wir ihnen ein ums andere Mal beim Biertrinken, Zigarettenrauchen, Suppeessen und Fernsehen zu. Ums Dokumentarische geht es den beiden Filmemachern aber ohnehin nur am Rande. Ein Off-Kommentar des einstigen Inselbewohners Bimsara Pasqual überhöht das Inselleben zu einem modernen Mythos. Blubbernde Störgeräusche verleihen dem Gezeigten eine traumhafte Qualität. War das Leben dort überhaupt echt oder nur eingebildet? Eine Weltflucht mitten auf der Ostsee – Paradies und Hölle, Utopie und Dystopie zugleich.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-esel-hiess-geronimo-2018