Born in Evin (2019)

Höllengeburt

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Maryam Zaree nagt an einem dunklen Geheimnis. Am Geheimnis ihrer Herkunft. Die bloßen Fakten kennt sie: Eltern, Geburtsdatum, Geburtsort. Aber da hängt es schon: Geboren ist sie in Evin, dem berüchtigten Höllengefängnis des Iran. Ihre Mutter saß dort ein als politische Gefangene des Chomeini-Regimes Anfang der 1980er, ihren Vater hat sie die ganze Kindheit über nicht gesehen, der hat über Jahre hinweg auf seine Hinrichtung gewartet. Der Mutter ist schließlich mit Maryam die Ausreise nach Deutschland geglückt, erst in den 1990ern kam der Vater frei. Was war da im Gefängnis? Wie hat die Mutter, wie hat das Baby Maryam diese Zeit erlebt? Maryam hat Fragen, auf die sie keine Antwort bekommt. Maryam dreht einen Spielfilm über ihr Trauma: "Born in Evin".

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Die Mutter redet nicht über diese Zeit. Der Vater sagt, er wisse von nichts. Maryam fühlt sich alleingelassen. Sie beginnt mit einem Dokumentarfilmprojekt, das ihr helfen soll, der eigenen Herkunft auf die Spur zu kommen. Und begibt sich auf eine ganz persönliche Suche – behauptet Zaree im Voice-Over-Kommentar. Tatsächlich aber stellt sie innerhalb des Films auf einer Konferenz iranischer Regimeopfer eine etwas andere Projektbeschreibung vor: Sie wolle das Schweigen der zweiten Generation brechen, wolle diejenigen ans Licht bringen, die Opfer zweiten Grades sind: Deren Mütter inhaftiert, gefoltert und womöglich umgebracht wurden, und die nun das vererbte Trauma mit sich herumschleppen.

Diesen Ansatz allerdings begräbt Zaree, indem sie eine Erzählung über ihr Erzählen einbaut, via Kommentar, der ihre Gedanken beim Recherchieren widerspiegeln soll. Allerdings, und ungewollt, offenbart sich so eine zumindest scheinbare Konzeptionslosigkeit: Der individuelle Ansatz reibt sich mit der angestrebten Allgemeingültigkeit, die beiden vorgestellten Entwürfe – Verarbeitung des eigenen familiären Traumas versus Raumgebung für die vielen Opfer – konterkarieren einander. Wo in sonstigen, ähnlichen Dokumentarfilmen mit starker persönlicher Perspektive das Persönliche ins große Ganze übergehen soll, ist hier das große Ganze heruntergebrochen auf das kleine Private. Und die Recherche selbst scheint eher sprunghaft, ja chaotisch: Ah, die Tante in Paris könnte was wissen. Schwups sind wir in Florenz, dann gibt es noch diese Frau in London und hat nicht 2012 eine ausgesagt bei einem Tribunal, das die iranischen Menschenrechtsverbrechen aufarbeitete? Die arbeitet zufälligerweise ebenfalls gerade an einem Dokumentarfilm, und oh ja, eine Autorin in Kalifornien, ebenfalls persönlich betroffen, hat ein Buch darüber geschrieben … Beinahe unfreiwillig komisch wirkt dieses Hopsen von Schauplatz zu Schauplatz, und recht beliebig.

Diese Anmutung einer etwas verwirrten Dramaturgie kommt wahrscheinlich daher, dass diese ganze Recherchier-Story erst nachträglich dem Film aufgesetzt wurde. Immer wieder zeigt der Film, dass Zaree keine wirklich validen Zeitzeugen finden konnte, die vor der Kamera aussagen wollten. Was ja im Grunde genau das ausdrückt, was Maryams Problem ist: Dass von den Haft- und Folteropfern das Trauma auf deren Kinder übertragen wird, dass die Verdrängung sich vererbt. Leider macht Zaree aus dieser Situation reichlich wenig. Vielmehr benutzt sie den Film als Eigentherapie, um die Kommunikationslosigkeit in der Familie zu überwinden.

Dazu kommt, dass sie sich bei manchen Gags nicht zurückhalten kann: So macht sie sich als Running Gag lustig darüber, dass die meisten Frauen, mit denen sie über ihre Erfahrungen redet, inzwischen Psychotherapeutinnen sind. Auch ihr Stiefvater übrigens, Abkömmling von Holocaustüberlebenden, der deren Traumata behandelt und dessen Arbeit Zaree nach eigenen Angaben bewundert – um ihn im nächsten Satz ironisch abzukanzeln, dass diese Arbeit daraus bestehe, jüdische NS-Opfer zu besuchen, Kuchen zu essen und ein paar Witze zu reißen.

Stringenz in der Argumentation oder gar so etwas wie wirkliche Einsichten können sich kaum einstellen über den Weg, den Maryam Zaree wählt. Die Entfremdung von den Eltern, speziell der Mutter, scheint eher ihr eigenes als deren Problem zu sein. Sie geht recht rüde mit anderen um; zu schwer lastet das sekundäre Trauma auf ihr, um sich auf das primäre Trauma ihrer Eltern einzulassen. Mitunter wirkt sie geradezu übergriffig, wenn sie ihren Wunsch nach Aufklärung der Vergangenheit den anderen überstülpt – denen wohlgemerkt, die all das Leid am eigenen Körper erfahren und Jahrzehnte damit verbracht haben, ihr Leben trotzdem leben zu können.

Und letztlich hat Zaree ihren Film auch symbolisch überladen. Immer wieder bringt sie das Symbol der Kerze ins Spiel, die die Sehnsucht nach Erleuchtung, nach Aufhellung des Vergangenen und nach einer Erwärmung der erkalteten Seele andeuten soll. Und ab und zu sieht man sie im Buschland, wie sie einen langen Fallschirm hinter sich herschleift, den sie, ich verrate da nicht zu viel, am Ende abstreift, um ohne Last frei zu sein.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/born-in-evin-2019