Der Geburtstag (2019)

Ein Prozess

Eine Filmkritik von Falk Straub

Eine überschaubare Gartenparty für den eigenen Nachwuchs ist im Grunde keine große Sache. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Womit uns der in Uruguay geborene und in Deutschland lebende Regisseur und Drehbuchautor Carlos A. Morelli hier beschenkt, ist ein ungewohnter Genremix und alles andere als ein Kindergeburtstag.

Der Freudentag fängt schon schlecht an. Wie gewohnt ist auf Matthias (Mark Waschke) kein Verlass. Erst kommt der feine Herr Papa zu spät, dann sagt er das fest eingeplante Wochenende mit seinem Sohn Lukas (Kasimir Brause) ab. Kein Zoobesuch, um das frisch geborene Elefantenbaby zu sehen. Dabei liebt der Sohnemann alles, was mit Dickhäutern zu tun hat, wie ein Blick ins Kinderzimmer verrät. Zu allem Überfluss hat Matthias auch kein Geschenk mitgebracht. Vorzeigemama Anna (Anne Ratte-Polle) schüttelt darüber nicht mal mehr den Kopf, verlangt aber alsbald den Wohnungsschlüssel von ihrem Ex zurück.

Was auf dem Papier wie der erwartbare Beziehungsfrust eines getrennten Paares und ein bisschen Vater-Sohn-Konflikt anmuten, verströmt von vornherein noch einen ganz anderen Flair. So bürgerlich und bieder manches Set in seinem 50er-Jahre-Charme auch daherkommt, erfüllt dieser Retro-Look noch einen weiteren Zweck. Morelli kreuzt Familiendrama mit Film noir, wundervolle Schwarz-Weiß-Aufnahmen und eine traurige Jazz-Trompete inklusive. Und so verrückt das klingen mag: Es funktioniert.

Es blitzt und donnert, draußen im Garten und in den Figuren drinnen. Die äußere Form spiegelt die innere Verfassung. Aus der verregneten Party wird beinahe ein Krimi, als Geburtstagsgast Julius (Finnlay Jan Berger) nicht abgeholt wird und sich Matthias widerwillig in die Nacht begibt, um Julius' Mutter ausfindig zu machen. Und aus der Schnitzeljagd wird schließlich eine Reise zu sich selbst, je mehr die genretypischen Versatzstücke vom Rest des Films Besitz ergreifen: lange Schatten, harte Kontraste, eiskalter Atem, zwielichtige Gestalten. Ist das noch echt oder schon Kopfkino des Protagonisten?

Der Geburtstag ist Morellis zweiter abendfüllender Spielfilm. Die Idee dazu kam ihm, als die Geburtstagsfeier seines Sohnes, ganz ähnlich wie im fertigen Film, buchstäblich ins Wasser fiel. Nachts darauf begann es im Kopf des Regisseurs zu rattern. „In diesem Prozess habe ich dem Ärger auf meinen Vater, den ich als Kind nicht formulieren konnte, und all meinen Ängsten und Zweifeln über meine eigene Rolle als Vater Ausdruck verliehen“, beschreibt Morelli seinen Weg zum Werk.

Darin macht der Protagonist nicht nur einen Prozess von einem lausigen zu einem ganz passablen Vater durch, der Film selbst erinnert entfernt in seinen albtraumhaften Passagen an Kafkas Der Prozess und Orson Welles' Adaption aus dem Jahr 1962 – mit dem gravierenden Unterschied, dass sich Matthias seiner Schuld bewusst ist, so sehr er diese auch beiseite schiebt.

Entstanden ist Der Geburtstag im Rahmen der ZDF-Sendereihe Das kleine Fernsehspiel. Nun mag der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht den besten Ruf genießen, was den kreativen Freiraum seiner Co-Produktionen anbelangt. Dieses Format hat sich seine Freiheiten allerdings bewahrt. Hier durften sich schon – um nur ein paar Namen zu nennen – Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Jim Jarmusch, Tom Tykwer oder Agnès Varda austoben. An deren Beiträge reicht Morellis mehr als gelungene Fingerübung zwar nicht ganz heran, sie zeigt aber, wie viel Potenzial in kreativen Prozessen steckt, wenn Filmschaffende sich frei entfalten dürfen.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/der-geburtstag-2019