Kleine Germanen (2019)

Wenn die Eltern Nazis sind …

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit Erstaunen und Sorge sehen viele Menschen in Deutschland das Erstarken von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Positionen. Woher kommt plötzlich (oder vielleicht gar nicht so plötzlich) all dieser Hass? Eine der Erklärungen, die bislang noch viel zu wenig Beachtung findet, sind (früh)kindliche Prägungen, denn häufig genug sind ausländerfeindliches und rassistisches Gedankengut in Familien fest verankert und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Merkwürdigerweise finden diese Faktoren in den zahlreichen Betrachtungen zu den Ursachen aber kaum je öffentlich Erwähnung. 

Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger versuchen in ihrem Dokumentarfilm Kleine Germanen, sich realen Geschichten anzunähern – und sie tun dies auf unterschiedliche Weise. Da ist zum einen die verdichtete Geschichte von Elsa, die auf den ersten Blick recht behütet aufwächst. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei vor allem der Großvater, der sich viel um das Mädchen kümmert. Doch schnell schieben sich erste Irritationen in das kindliche Idyll. Die Kriegsspiele, die die beiden miteinander spielen, verraten immer deutlicher die Gesinnung des Opas, der das Mädchen dazu ermuntert, Bolschewiken zu töten und sie dazu bringt „Für Führer, Volk und Vaterland“ zu sagen und den rechten Arm zu heben. Das ist nur der Anfang eines Weges, der immer mehr in die Radikalisierung und in eine starke Abhängigkeit führt. Am Ende gelingt ihr zwar die Befreiung aus der sektenähnlichen Gemeinschaft und dem Zugriff ihres immer radikaler werdenden Mannes, doch der Preis ist enorm … 

Die Geschichte von Elsa, offensichtlich eine wahre, die aber stark verfremdet wurde und die zudem in Animationssequenzen erzählt wird, ist aber nur ein (freilich zentrales) Element, mit dem die beiden Filmemacher operieren. Elsas Geschichte bildet gewissermaßen die Rahmenhandlung für Interviews, die die beiden Regisseure und Autoren mit Aussteigern und noch aktiven Rechtspopulisten und Exponenten der neurechten Szene führen. Besonders interessant ist dabei ein längeres Interview, das die Regisseure mit dem neurechten Vordenker und Verleger Götz Kubitschek und dessen Lebensgefährtin Ellen Kositza führen, bei denen diese wie rechte Spießbürger ihre stockkonservativen Ansichten zu Erziehung und Familie verlautbaren lassen.

Gerade in Sequenzen wie diesen zeigt sich, dass sich der Film ein wenig verheddert in seinen guten Absichten. Statt durch geschickte Inszenierung und Fragestellung die Interviewten zu entlarven (wie dies beispielsweise Ulrich Seidl in Perfektion beherrscht), wird gerade Kubitschek und Kositza viel Platz eingeräumt und ihr krudes Weltbild an keiner Stelle kommentiert oder eingeordnet. Rhetorisch geschickt versteht es Kubitschek sogar, durchaus einnehmend zu sein – zumindest bei Menschen, die seinem Weltbild nicht gänzlich abgeneigt sind.

Was in einem Teil des Films mehr Eingriff seitens der Regie bedurft hätte, leidet in der Rahmenhandlung um Elsa an einer zu starken Verdichtung und Zuspitzung, die an einigen Stellen die Grenze zur Verkitschung überschreitet. Zudem erscheinen manche Erklärungsversuche gerade in Bezug auf Elsas Familie allenfalls küchenpsychologisch und wenig glaubhaft. 

In gewisser Weise fühlt man sich gerade in Elsas Geschichte an David Wnendts Spielfilm Kriegerin erinnert, wo ebenfalls der Großvater eine wichtige Rolle bei der rechtsradikalen Sozialisierung der Protagonistin spielt. Dass aber ausgerechnet ein Spielfilm mit seinem Hang zur Verdichtung und Fiktionalisierung einem dokumentarischen Werk zeigt, wie es subtiler, ausgewogener und auch zielführender geht, ist dann doch unterm Strich bezeichnend dafür, dass gut gemeint im Falle von Kleine Germanen dann eben doch nicht gleichbedeutend mit gut gemacht ist. Natürlich gibt der Film dennoch einige Anregungen für Diskussionen - und sei es nur bezüglich all jener Punkte, die man sich anders gewünscht hätte. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/kleine-germanen-2019