Joker (2019)

The Joke(r) is on you…

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Wer kann nach Heath Ledgers Performance als Joker noch in seine Fußstapfen treten? Wer kann noch verrückter, ungebändigter, körperlicher sein? Nur Joaquin Phoenix, der nie vor den hässlichen, wahnsinnigen, körperlich abstoßenden, schmerzhaften Rollen zurückschreckt, sondern sie zu seinem Markenzeichen macht. Kein Wunder also, dass Todd Philipps „Joker“ einer der meist erwarteten Filme des Jahres 2019 war. Und, um es gleich voraus zu schicken: Phoenix gibt alles und der Film liefert. Allerdings mehr, als ihm vielleicht klar ist.

Joker weicht von den anderen Origin Stories der Figur ab und begibt sich auf einen ganz eigenen Interpretationspfad des wahnwitzigen Clowns, der Batman das Leben schwer machen wird. Doch noch ist Bruce Wayne ein Junge und Gotham City liegt in tiefer Depression in den 1980er Jahren. Zerfressen von Ratten und Einsparungen ist die Stadt ein Moloch, in dem die einfachen Menschen dahin vegetieren, während die Reichen, wie Bruces Vater Thomas Wayne, sich isolieren und gleichsam versuchen, die politische Macht weiter unter sich aufzuteilen. Kurzum, die Fronten sind klar: reich gegen arm. Die da oben gegen die da unten.

Unten ist auch Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), der aus der Psychiatrie entlassen einmal pro Woche zum Sozialdienst muss, wo eine überarbeitete Sozialarbeiterin ihn fragt, wie es ihm geht und ihm seine Medikamente verschreibt. Ansonsten arbeitet Arthur als Clown und träumt davon Stand-Up-Comedian zu werden. Er lebt mit seiner fragilen Mutter, die ihn "Happy" nennt, denn Arthur soll immer glücklich sein. Das Gegenteil ist natürlich der Fall. Sein Leben ist trostlos und besteht vor allem daraus, nicht gesehen oder misshandelt zu werden. Dabei möchte Arthur selbst nur eins: Menschen glücklich machen. Doch dann passieren mehrere Ereignisse, die ihn und seine Psychosen schließlich eskalieren lassen: Er wird mehrmals verprügelt und gedemütigt, verliert seinen Job, der Sozialdienst schließt und damit versiegt sein Zugang zu Medikamenten und seine Mutter hat einen Schlaganfall. Als er in der U-Bahn von ein paar besoffenen Wall-Street-Jungs fertig gemacht wird, zückt er eine Waffe und erschießt zwei von ihnen in Notwehr. Den dritten aber richtet Arthur förmlich hin und fühlt darin, so wird er später sagen, eine regelrechte Befreiung. 

Sie werden nicht die einzigen Opfer bleiben, doch wen und wie viele Arthur, der sich später Joker nennen wird, tötet, wird letztendlich im Film als irrelevant dargestellt. Zumal Arthur, der der Erzähler der Handlung ist, keineswegs verlässlich Bericht erstattet, sondern zwischen Imagination und von Psychosen gefärbter Realität hin und her wechselt. All das ist erwartbar, wenn man die Figur des Jokers etwa näher kennt. Erwartbar ist ebenfalls, dass die Darstellung extrem intensiv sein wird, schließlich ist das das Markenzeichen und die große Kunst von Joaquin Phoenix, der hier durchaus hervorragend besetzt ist und der Figur eine ganz neue Schärfe gibt. All das ist faszinierend und gut gemacht. Und geht mit jeder Minute weiter und tiefer und dehnt sich damit weit über die Komfortzone des Publikums hinaus.

Nur wenige Filme gehen so klar und so weit, erlauben sich so viel Widerlichkeit wie Joker es tut. Und das ist erst einmal sehr gut so. Film und Kunst dürfen und sollen gern unbequem sein. Was dem Werk allerdings abhanden kommt, ist, über sich selbst nachzudenken und zu kontextualisieren, was es hier eigentlich darstellt, in welchem System es sich positioniert und wie und warum es tut, was es tut. Denn jeder Film ist, wie immer in der Kunst, ein Kind seiner Zeit und es ist unmöglich, vor allem in diesen Tagen, das Werk von der Gesellschaft, in der es kreiert wurde, gänzlich zu trennen. Sie bedingen einander, spiegeln sich, wenn auch verzerrt und beeinflussen einander. Das ist die Kraft des Geschichtenerzählens, des Bildererschaffens. Was also ist es, das Joker erzählt? Und in welcher Matrix tut er es? 

Die Reaktion auf Joker ist eine durchaus viszerale, die man im Magen spürt. Für die einen mag es einfach die Vehemenz der Darstellungen selbst sein. Doch darunter liegt eine weitere erschreckende Ebene, die sich nach und nach aus dem Film pellt. Und diese ist mindestens ernüchternd, wenn nicht gar hochproblematisch. Es scheint dem Filmemacher und Drehbuchautor Todd Philipps (Hangover 1-3) vielleicht nicht bewusst zu sein, doch Joker ist ein wahres Geschenk an den derzeitigen Populismus, vor allem den der Incels, Maskulinisten, Amokläufer und Rechten, denn er kreiert eine Gallionsfigur für ihre Causa und  vor allem ihren Blick auf den Rest der Gesellschaft. Arthur Fleck ist der Prototyp der zahlreichen Männer, die sich selbst als underdogs, als Beta-Männer sehen und in deren Narrativ die Welt, vor allem die Frauen, ihnen Aufmerksamkeit, Liebe und andere Dinge schulden. In ihrem Narrativ sind es die Alpha-Männer, die toll aussehen oder so wie Thomas Wayne steinreich und mächtig sind, die ihnen alles nehmen und sie demütigen. Man ist eine armen Sau, man badet sich im Selbstmitleid, so wie Arthur es nur zu gern tut. Und dann wird man sich an all denen eines Tages rächen. Mit purer Gewalt. Und man wird entweder ein Märtyrer oder gottgleich sein. Der Joker übernimmt diesen größenwahnsinnigen Gewalttraum für sie mit großem Vergnügen und setzt ihn um. Und der Film feiert ihn dafür und gibt dieser Bewegung eine neue Figur. 

Doch nicht nur das, er übernimmt auch sämtliche typischen Erklärungs- und Abschirmungsstrategien. Arthur wurde als Kind misshandelt. Arthur hat eine schlimme Mutter. Arthur wird gedemütigt. Arthur bekommt nicht genug Aufmerksamkeit von Frauen. All dies und mehr wird systematisch und repetitiv im Film aufgebaut und bietet eine ideologische Grundlage dafür, dass Arthur schließlich töten darf. Nein, dass er sogar das Recht dazu hat zu töten. Und dass ihn das zu einem Helden macht, der gefeiert wird. Und gleichsam schließt dieses Konstrukt, um dessen Aufbau sich der Film in mehr als der Hälfte seiner Zeit bemüht, auch die klassische Strategie mit ein, die im Rechtspopulismus weltweit gerade so gern und erfolgreich benutzt wird. Es sind "die Anderen". In Gotham sind es „die da oben“, es könnten aber genauso gut die Ausländer, die Geflüchteten oder sonst wer sein. Hinzu kommt noch eine kleine Verschwörungsstrategie und der unzuverlässige Erzähler, dessen Geschichte perfekt in die derzeitige Zeit der fake news passt.

Wahrlich, Joker ist ein Film seiner Zeit, doch es ist einer, der die Fieberträume des Wahnsinns auslebt und feiert und das macht ihn zu einem äußerst problematischen Film. Denn er liefert eine neue Ikone für Hass und Mord und das gleich mit einer ganzen Reihe an Legitimierungen. Dieser Joker ist die perfekte Projektionsfläche, da letztendlich selbst das bisschen Ambivalenz und der letzte Funken Widerlichkeit ob der fehlenden Menschlichkeit am Ende des Films in einem Blutbad ersäuft, für das die Figur noch gefeiert wie ein neuer Gott. 

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/joker-2019