Benedetta (2021)

Nuns just wanna have fun

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Nach wie vor eilt dem aus den Niederlande stammenden Paul Verhoeven der Ruf als einer der großen Provokateure des Kinos voraus, was vor allem an seinem bisherigen Wirken in Hollywood und an Filmen wie Basic Instinct, Robocop und Showgirls liegt. Für Letzteren erhielt er bekanntermaßen die berüchtigte Goldene Himbeere als schlechtester Film des Jahres 1996 und ließ es sich nicht nehmen, die Auszeichnung anders als die meisten seiner Standeskollegen persönlich in Empfang zu nehmen. Bei diesem Anlass hielt er eine Rede, die man durchaus als programmatisch für sein Schaffen und sein Selbstverständnis ansehen kann: „Meine Filme werden hier kritisiert, weil sie als dekadent, pervers und schmierig gelten. Das bedeutet sicher, dass ich Teil dieser großartigen amerikanischen Gesellschaft bin. Danke!“

Mittlerweile ist Verhoeven 82 Jahre alt (demnächst 83), doch kein bisschen leiser geworden, wie man in seinem letzten Film, dem 2016 ebenfalls in Cannes uraufgeführten Vergewaltigungsdrama Elle, sehen konnte. Sein neuer Film Benedetta, der die Lebensgeschichte der lesbischen Nonne Benedetta Carlini (1591-1661) erzählt, ist genauso handfest und provokativ geraten, wie man dies erwarten konnte und sorgte erwartungsgemäß für jenen (kalkulierte) Skandal, den ein cineastisches Großereignis an der Croisette eben auch braucht.

Basierend auf dem Sachbuch Immodest Acts – The life of a lesbian nun in Renaissance Italy erzählt der Film von Benedettas Eintritt ins Kloster, ihrem unaufhaltsamen Aufstieg an die Spitze der Gemeinschaft und ihren religiösen wie sexuellen Phantasien – und von der Affäre, die sie mit der Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) beginnt und bei der eine hölzerne Marienstatue als Dildo dient. Hinzu kommen teilweise heftige Gewaltspitzen und Bilder, die direkt aus trashigen Horrorfilmen der 1960er oder 1970er Jahre zu stammen scheinen, wenn etwa eine Nonne sich von der Kirche stürzt und ihre Silhouette sich gegen einen blutroten Himmel abzeichnet. Aus einem ähnlichen Fundus speisen sich jene Szenen, in denen Benedettas Wundmale aufbrechen oder Szenen mit Schaustellern, denen die Kamera mit sichtlichem Vergnügen dabei zusieht, wie sie ihre Fürze abfackeln.

Zugleich zeigt Benedetta aber auch auf verblüffende und nicht sehr subtile Weise die klerikalen Machtstrukturen und wie seine Hauptperson (völlig gegen ihr Image gespielt von Virginie Efira) mit Intelligenz, Sex und einer gehörigen Portion Skrupellosigkeit sich dagegen auflehnt und die von Männern geschriebenen Regeln unterläuft und diese zu ihren Gunsten umschreibt. Und wie die Mächtigen der Institution Kirche sich aufs Glatteis führen lassen, wenn sie nur ein gutes Geschäft wittern.

Das ist einerseits gewitzt und schlau, dann aber auch wieder ungeheuer vulgär, mit einer fast kindlichen Lust an der Provokation, gnadenlos und mit großem antiklerikalen Furor satirisch überzeichnet und dann wieder an der Grenze zur Banalität. Bei aller Ambivalenz, aller visuellen Angeberei, der ganzen Aufregerszenen und dem mitunter sehr platt anmutendem Hang zur Provokation ist Benedetta eines ganz sicher nicht: langweilig. Ob der Film aber abgesehen von seinem Unterhaltungsfaktor und darüber hinaus auch ein gutes, ein gelungenes Werk geworden ist, darüber wird es wohl so schnell keinen Konsens geben. Die Mission des bösen Buben im Wettbewerb hat Verhoeven jedenfalls erfüllt.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/benedetta-2021