Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

Überleben vs. leben

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Eine Frau setzt sich vor zwei Kinder und sagt in knallhartem, kaltem Ton, dass sie eine lange, schwierige Fahrt auf dem Fluss vor sich haben. Diese Fahrt werde ihnen endlos vorkommen, aber sie dürfen nichts sagen – es sei denn, sie hören etwas in den umliegenden Wäldern. Auf gar keinen Fall dürfen sie ihre Augenbinden abnehmen. Die Kinder bestätigten, dass sie verstanden haben. Dann verlassen die Frau und die zwei Kinder mit verbundenen Augen das Haus. Die Frau zählt Schritte, sie hangelt sich an Hilfsmitteln entlang, bis sie beim Boot ankommen und die Fahrt zu einem Ort antreten, an dem sie vielleicht dauerhaft leben könnten.

Es folgt ein Rückblick. Sechs Jahre zuvor ist Malorie (Sandra Bullock) schwanger. Sie steht in ihrem Wohnungsatelier und malt, als ihre Schwester Jessica (Sarah Paulson) vorbeikommt, um ihr Essen zu bringen. Anschließend gehen sie zum Arzt, durch das Gespräch wird deutlich: Jessica ist die Fröhliche, Bindungsfähige, sie freut sich mehr auf das Kind. Malorie hingegen befürchtet, keine Bindung zu dem Kind aufbauen zu können, stammen sie und ihre Schwester doch aus einer äußerst dysfunktionalen Familie. Dazu kommen beunruhigende Berichte, dass in Russland eine seltsame Seuche wütet, die Menschen dazu bringt, sich massenweise selbst zu töten. Dann passiert, was passieren muss: Auch die USA werden heimgesucht – und Malorie muss einen Überlebensweg finden.

Dieser Anfang von Susanne Biers Bird Box ist atmosphärisch dicht und spannend: weniger die Fahrt auf dem Fluss als vielmehr der Rückblick in die Zeit davor. Hier sind Schock und Terror unmittelbar. Gerade noch hat eine Frau telefoniert, da haut sie ihren Kopf gegen eine einbruchssichere Fensterscheibe, bis sie sich umgebracht hat. Menschen stellen sich vor Fahrzeuge, sie verursachen absichtlich Unfälle, um zu sterben. Gewalt, die Menschen gegen sich selbst anwenden, ist im Kino und Fernsehen weitaus seltener zu sehen als Gewalt, die sie erfahren – und deshalb sind diese Szenen umso verstörender. Malorie gelingt es, in ein Haus zu kommen. Dort verbarrikadiert sie sich mit anderen Überlebenden. Sie finden heraus, dass sie sich schützen können, wenn sie nicht mehr nach draußen gucken. Sobald sie nämlich hinsehen, erblicken sie ihre größten Ängste und wollen sich unbedingt umbringen.

Klugerweise wird nicht gezeigt, wie diese Angreifer, die diffuse Bedrohung genau aussieht – nur die Tonspur und aufgeregt flatternde Vögel deuten das Grauen an. Diese Bedrohung wird nun zum Anlass, über Mutterschaft nachzudenken – und zwar ganz klar Mutterschaft, biologische Väter kommen nicht vor, Ersatzvater Tom (Trevante Rhodes) bekommt lediglich Raum, um eine Gegenposition zu Malorie zu setzen: Für sie bedeutet Mutterschaft, das Überleben der Kinder sicherzustellen. Sie sollen aufpassen, sie sollen Risiken einschätzen können, sich zur Wehr setzen und in der Lage sein, eigene Entscheidungen zu treffen. Dagegen betont Tom, dass die Kinder – von Malorie noch nicht einmal mit Namen bedacht, sondern Mädchen (Vivien Lyra Blair) und Junge (Julian Edwards) genannt – nicht nur überleben müssen, sondern auch leben.

Das ist eine altbekannte und oft verhandelte Frage, kürzlich erst in A Quiet Place, deshalb ist es schade, dass Susanne Bier sich hier sehr früh und sehr deutlich für das konservative Bild von Mutterschaft als Sorge entscheidet. Anstatt zu erforschen, wie sich die Traumata, die Malorie erlitten hat, auf ihr Verhältnis zu den Kindern auswirken, wird die Reise auf dem Fluss zu einem Weg zu der Erkenntnis, dass es eben nicht reicht zu überleben.

Die Konzentration auf das Thema Mutterschaft ist zudem bedauerlich, weil gerade im ersten Drittel des Films viele Bezüge zu aktuellen Fragen eingewoben sind: Wie verhält man sich gegenüber Flüchtenden, die Schutz suchen? Wie unterscheidet man Flüchtende, die Hilfe brauchen, von denen, die Gefahr bedeuten? Dazu hat Drehbuchautor Eric Heisserer (Arrival) in seine Adaption des 2014 erschienenen Romans von Josh Malerman einige bitter-witzige Pointen eingebaut, bspw. wenn der von John Malkovich gespielte Zyniker Douglas einen Toast aufbringt: „Make the end of the world great again“.

Aber letztlich passt all das zu diesem Film: Er hat großartige Voraussetzungen, die aber letztlich zu wenig genutzt werden. Das beginnt bei dem Cast, in dem Jackie Weaver oder BD Wong kaum präsent sind, setzt sich bei der Kameraarbeit fort, die gerade aus den Augenbinden nur wenige offensichtliche Möglichkeiten nutzt, und führt dann geradewegs zum enttäuschend-simplen Finale. Und das ist angesichts des spannenden Anfangs wirklich schade.

Quelle: www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/bird-box-schliesse-deine-augen-2018